Hoovsgul Nuur

Aus Faltbootwiki

Wechseln zu: Navigation, Suche


Hoovsgul Nuur - Der See hat Hochwasser - aber wo ist der Ausfluß?



Inhaltsverzeichnis

Vorgeschichte

Nuur heißt See - auf mongolisch, denn wir befinden uns in der Mongolei, im Norden dieses Landes, kurz vor der russischen Grenze und dem Baikalsee. Ca. 300 km haben wir auf dem gut 130 km langen und bis zu 32 km breiten See eine Rundreise gepaddelt. Wir, das sind Ines, Andrej, Marc und Rico Philipp, mein Freund Robert und ich. Noch einige hundert Kilometer auf dem Eg Gol, der aus dem See ausfließt, liegen vor uns.

Vorerst aber haben wir leichte Probleme mit dem Vertreter der Staatsgewalt, genauer, der Naturparkverwaltung. Wir haben unser Camp extra hinter einem Zaun aufgebaut, weil es davor so aussah, als können dort die Weidetiere einer kleinen Jurtensiedlung hin - aber: Der Zaun markiert den Beginn des Teils des Nationalparks, wo nicht gezeltet werden darf. Nach einer längeren Diskussion auf Englisch, bei der wir darauf hinweisen, dass der angebotene Zeltplatz für mich mit meiner Gehbehinderung viel zu weit weg vom Ufer ist, können wir für die eine geplante Nacht bleiben, müssen aber das Feuer um ein paar Meter auf eine grasige freie Fläche verlegen.

Bild 1: Wir errichten unser Camp doch extra hinter dem Zaun

Kaum sind der Ranger und sein Fahrer weg, tuckert ein kleines Boot mit einem Uralt-Außenbordmotor vorbei, bei dem die übliche Verkleidung als völlig überflüssig wohl seit vielen Jahren schon entfernt worden ist. Eine stinkende Abgasfahne hinter sich herziehend legt die Besatzung, ein mongolisches Paar, an einer passenden Stelle in der Nähe an, kommt zu uns und bietet uns frisch gefangenen Fisch an. Zwei ordentliche Exemplare einer Fischart, die unserer Quappe oder Aalrutte ähnelt, wechseln gegen 2.000 Tugrik – etwa 1,30 € - in unseren Besitz über. Die werden von Robert filetiert und landen zum Abendessen in der Pfanne.

Bild 2: Zwei Fische wechseln den Besitzer


Zum Seeausfluß

Der nächste Morgen sieht uns bei herrlichem Wetter unterwegs nach Süden, Richtung Hatgal. Hatgal - das H wird als tief im Rachen gebildetes CH wie im Wort "nach" gesprochen - liegt im Süden, am Ausfluß des Sees.

Bild 3: Auf dem Weg nach Hatgal

Zu sozialistischer Zeit war es eine wichtige Station für Güter aus der UdSSR, vor allem Benzin und Öl, das von Norden von der Ortschaft Hankh her im Sommer mit kleinen Tankern und im Winter mit Lkw über den gefrorenen See transportiert wurde. Von Hatgal aus führt eine für mongolische Verhältnisse gut ausgebaute Piste weiter nach Süden, ins Landesinnere. Heute ist der Ort Zentrum und Ausgangspunkt für eine Reihe von Ger-Camps und anderen Ferienanlagen für den Tourismus, der sich in der Mongolei langsam entwickelt. Beliebt sind bei den Touristen vor allem geführte Reit- und Wandertouren durch den Nationalpark. Wassersport ist auf dem See, außer zwei bis drei Ausflugsbooten, noch völlig unbekannt, obwohl wir auch schon in einem Ger-Camp-Leihkajaks und -kanadier gesehen haben. Ger ist das mongolische Wort für das aus dem russischen stammende Wort Jurte.

Bild 4: Ger Camp

Der See liegt spiegelglatt, es ist recht warm, nur das Wasser ist saukalt! Es stammt zum großen Teil aus Schneebergen am westlichen und nördlichen Ufer, die bis zu 3.500 m hoch aufragen. Das Grenzgebirge nach Norden zu in Richtung Russland trägt sogar Gletscher.

Bild 5: Die Berge nach Russland zu tragen sogar Gletscher

Der Wasserstand ist hoch, am Ufer steht der See über Gras und Kräutern des Uferbewuchses. Es hat in den letzten Tagen viel geregnet, darunter zwei Tage heftigen Dauerregen. Ein 30 - 50 cm höherer Wasserstand bedeutet bei solch einem großen See, dass auch viel mehr Wasser auf dem Eg Gol, der aus dem See ausfließt, zu erwarten ist! Und wir wissen, dass der Fluß mindestens auf den ersten gut hundert Kilometer recht eng sein kann, viele scharfe enge Kurven, Holzverhaue. Das hat uns Kurt erzählt, der vor einem Jahr dort paddelte. Wir sind hier in der "Regenzeit". Das darf man sich nicht so vorstellen, als gieße es nun unaufhörlich in Strömen. Mitte Juli bis Mitte August gibt es viele Regenschauer, meist verbunden mit Gewittern, die in aller Regel nur kurz andauern. Es kann aber auch mal ein paar Tage Dauerregen geben. Schon nach den starken Gewittern können die Bäche in der davon betroffenen Region innerhalb kürzester Zeit anschwellen und als reißendes Hochwasser zu Tal gehen, alles aus dem Weg räumend oder mitreißend, was ihnen im Weg liegt. Zwei bis drei Tage starker Dauerregen bedeutet daher fast immer Hochwasser der davon betroffenen Gewässer.

Bild 6: Gewitter

Bild 7: Nach dem Gewitter

Nach solchen Gewittern ist der Himmel bald wieder so klar und blau, dass man kaum glauben will, was man an Sturm, Regen und Hagel noch vor weniger als ein oder zwei Stunden erlebt hat. Insgesamt ist die Mongolei ein sehr sonnenreiches Land mit durchschnittlich 260 Tagen Sonnenschein im Jahr. Aber wie gesagt: Während der Regenzeit spielt das Wetter eben gerne verrückt, so wie bei uns im April.

Bild 8: Anfahrt zum Yacht Club; Hafenanlagen von Hatgal; Hatgal

Ankunft an den Hafenanlagen von Hatgal; vorher sind wir an einer Reihe von in der Sonne glänzenden Tanks vorbeigefahren, die offensichtlich nicht mehr benutzt werden. Zwei rostige Tankschiffe, ein kleiner Frachter, auf dem gearbeitet wird, und die Sükhbaatar, ein größeres Ausflugsschiff, liegen dort festgemacht. Die Sükhbaatar, benannt nach einem Nationalhelden aus der Zeit der Befreiung von der chinesischen Herrschaft, wurde vor kurzem von einem der neureichen Unternehmer aus Ulan Baatar gekauft, um sie an kaufkräftige Touristen zu vermieten. Die geben das Geld aber auch nicht mit vollen Händen aus, und so liegt das Schiff meist hier am Anleger, japanische, chinesische und koreanische Touristen trinken hier ein oder mehrere Biere - und gegen eine Runde darf man mal das Signalhorn des Schiffes erdröhnen lassen. Vor dem Anleger auf einer Uferwiese sitzt viel Volk in Grüppchen, genießt die Sonne. Einige, meist Kinder, gehen sogar mal ins Wasser.

Wir in unseren Faltbooten erregen ziemliches Aufsehen. Als wir aussteigen, stehen auch einige Mongolen dort und schauen sich interessiert unsere für sie seltsamen Wassergefährte an. Aber alles geht sehr ruhig zu, wir werden nicht von drängelnden Menschentrauben umringt. Immer wieder kommen aber einige, schauen sich die Boote an, fühlen auch mal an der Haut und der Decksbespannung, schauen in die vollbepackten Boote hinein, unterhalten sich ein wenig, gehen wieder.

Wir wollen hier, wenn möglich, Proviant nachkaufen, etwas essen und trinken, und dann noch weiterfahren, um zum Eg Gol zu kommen.

Beim "Yacht-Club" finden wir ein kleines einfaches Restaurant. Es gibt die Gebäude des Clubs, aber keine Yachten. Dafür gibt es sehr preiswert einen richtig gut schmeckenden Eintopf aus Nudeln, Gemüse und Fleisch, dazu Bier. Und anschließend noch Buuds, mit Fleisch, Innereien und Zwiebeln gefüllte und in Wasser gegarte Teigtaschen.

Einkaufen können wir auch, wobei uns vor allem der Sinn nach Frischem steht: Kartoffeln, Zwiebeln, Karotten, Äpfel usw.

Als wir wieder in die Boote steigen, hat es von Südost aufgebrist. Kleine Wellen laufen auf den Strand, an dem wir entlangfahren. Vom Ort her kommen Menschen zum Wasserholen an den See; Kinder mit Kannen, Frauen mit Eimern, oft auf einfachen zweirädrigen kleinen Karren verzurrt und gelegentlich ein Mann mit einem von einem Pferd gezogenen einfachen Karren, auf dem ein Faß befestigt ist. Zwischendurch Frauen beim Wäschewaschen und -trocknen.

Das Wasser wird jetzt lehmig braun, während es bisher glasklar war. Links steigen Hügel an, während sich rechts zum Ort hin flache ebene Wiesen, nur wenig über dem Wasser gelegen, hinziehen. Der See beschreibt eine große Kurve nach rechts, immer brauner und lehmiger wird das Wasser, hinter der Kurve muß der Seeausfluß liegen.

Vor einer linksufrig aufragenden Felswand haben wir ihn erreicht. Nur: Es fließt nichts, oder fast nichts! Nur ein kleines Rinnsal plätschert zwischen Steinen und Kies dahin - völlig unfahrbar. Wir sitzen davor auch mit den Booten sofort auf Grund.


Bild 09: Ausfluß - nichts fließt!


Aussteigen. Über ein mehrere hundert Meter langes Kiesufer gehen die Anderen in Richtung der jetzt sichtbar gewordenen Brücke über den Eg Gol. Als wir vor bald drei Wochen hier zum See hochkamen, floß hier mit kräftigem Stromzug der Fluß, mit klarem und tiefem Wasser. Die Brücke bestätigt uns, dass wir auch wirklich am Ausfluß des Sees sind und nicht an einem kleinen Nebenarm, wo jetzt bei hohem Wasserstand des Sees etwas Wasser überfließt.

Ziemlich ratlos ziehen wir die Boote wieder ein Stück höher und bereiten unser Zeltlager auf einem nur wenig höher gelegenen Stück Wiese für die Nacht vor.


Des Rätsels Lösung

Abends und auch am nächsten Morgen kommen mehrfach Mongolen vorbei, mit denen wir versuchen, zu sprechen. Es ist nicht ganz einfach, aber langsam können wir die Gebärden, wenige Brocken oder Sätze Russisch zusammen mit unseren Beobachtungen und vorher erhaltenen Informationen wie bei einem Puzzle zusammenfügen: Die schweren Regenfälle der letzten Tage, die wir am Ostufer des Hovsgul Nuur erlebt haben, müssen in den Bergen im Westen regelrecht sintflutartig gewesen sein. Sie führten zu Hochwasser auf allen Bächen und Flüssen. Das direkt vor uns mündende und normalerweise völlig trockene, mehrere hundert Meter breite Kiesbett hatte sich mit reißenden Wassermassen gefüllt, die Unmengen Kies, Sand und Steine zu Tal führten. Mehrere Tage lang war die Straße nach Süden, nach Mörön, die durch dieses Kiesbett und das einiger weiterer Flüsse und Bäche führt, unterbrochen. An der Mündung prallten die Wassermassen samt ihrer mitgeführten Fracht gegen die linksufrige Felswand. Ein geringer Teil des Wassers wurde seeeinwärts gedrückt, färbte dessen südliches Ende lehmig braun. Der Rest floß im Bett des Eg Gol ab. Und vor der Felswand wurde ein Teil der Kies- und Steinmassen abgelagert, verrammelte so den Ausfluß. Das führte zum Ansteigen des Sees. Nun schwappt der See über den aufgehäuften Damm, erst noch als nur kleines Rinnsal.

Es hatte mehrere Tote gegeben - die meisten Mongolen können nicht schwimmen - und der Flughafen von Hatgal war etliche Tage geschlossen, da auf dem flachen Boden die Regenwasser nicht abfließen konnten und der Boden völlig aufgeweicht wurde.


Wie geht’s weiter?

Da sowieso nichts zu ändern ist, schlafen wir erst mal bis weit in den nächsten Morgen. Als Beifahrer auf dem Motorrad eines Mannes, der zum Fischen an den See gekommen war, fährt Andrej mit nach Hatgal. Die Fahrt endet noch in unserer Sichtweite am steilen Anstieg aus dem Kiesbett auf die hohe Uferbank. Die doppelte Last mag die schon ziemlich altersschwache Kette nicht schaffen und gibt den Geist auf. So marschiert er den Rest der Strecke zu Fuß, nachdem er erst helfend mit versucht hatte, das Motorrad wieder flott zu bekommen.

Nach einiger Zeit kommt er zurück - in einem geländegängigen russischen Kleinbus sitzend und mit Brot. Mit dem Busfahrer wird abgemacht, dass er einige von uns nach dem Frühstück nach Süden bringen soll, um dort zu schauen, ob der Wasserstand im Fluß wieder ausreichend ist. 100 US $ soll das kosten. Einen Teil davon braucht der Fahrer in Tugrik, der mongolischen Währung, damit er tanken kann.

Die Fahrt nach Süden geht zwar über einige kräftige rechtsseitige Zuflüsse, quer durchs Bachbett, denn die Brücken sind fortgespült oder zerstört, aber für die Weiterfahrt ab Alan, dem nächsten Dorf am Fluß, reicht das nicht aus. So kommt der "Spähtrupp" auch bald wieder zurück. Wir müssen ein gutes Stück weiter unterhalb auf dem Eg Gol einsetzen, hoffend, dass bis dahin viele größere und kleinere Zuflüsse einen ausreichenden Wasserstand ergeben.

Wir verhandeln mit dem Fahrer. Quer durch die Berge, auf dem kürzesten Weg, will er nicht fahren. Die Pisten dorthin und deren Zustand sind ihm zu unsicher, zumal es auch dort stark geregnet hat. Er will erst weit nach Süden bis zur Aimak-Hauptstadt Mörön, dort noch einmal volltanken und dann in einem großen Bogen nach Nordosten zu einer Brücke über den Eg Gol, nahe dem Dorf Biyj.

Wir wollen jedoch noch ein zweites Fahrzeug haben, auch wenn er meint, dass er uns alle im Wagen plus Gepäck unterbringen kann. Wir haben bereits auf der Fahrt hier zum See beobachten können, wie die Busfahrer ihre Fahrzeuge so voll laden, wie es nur irgend geht. In einem für acht Personen gebauten Kleinbus sitzt dann mehr als die doppelte Anzahl, zusätzlich noch eine Menge Gepäck. Zum Einen wird es für uns mehr als eng, zum Andern scheint uns sein "Russe" technisch doch nicht so ganz in Ordnung und up to date zu sein. Also holt er einen Freund mit einem gleichartigen Bus. Dessen Fahrzeug ist zwar noch weniger in Ordnung nach unseren westeuropäischen Vorstellungen, keine Batterie, kein Anlasser, die Hecktür muß mit einem dicken Seil gesichert werden, aber wir hoffen, dass es mit diesen zwei Fahrzeugen gehen wird.

800 US $ wollen die Beiden insgesamt haben. Wir handeln sie runter auf 500 $ und rechnen noch 50 $ zusätzlich für die Fahrt heute Morgen ab, da wir nicht so weit gefahren sind wie verabredet. 8.00 Uhr morgen früh soll es losgehen.


Über Mörön nach Biyj

Pünktlich sind die Beiden da, brauchen aber wieder Geld zum Tanken, das wir ihnen in Tugrik geben. So können wir noch in Ruhe zu Ende frühstücken und den Rest packen.

Dann verschwinden unsere abgebauten Faltboote und das gesamte übrige Zeltgepäck, unsere Klamottensäcke und die Lebensmittel in den Kleinbussen, wir noch dazu. Der zweite Bus wird mit der Kurbel gestartet, dann geht es los.

Schaukelnd, dass wir uns kaum auf den Sitzen halten können, geht es durch das Kiesbett des nun wieder trocknen Flusses, hoch hinauf auf die Piste, ab nach Süden. Mehrfach verlassen unsere Fahrer die Piste, um durch ihr Kiesbett eilende Bäche zu queren, wo die Brücken zerstört sind.

Bild 10: Mehrere Bäche werden gefurtet; Brücken waren zerstört

Oben auf der Höhe bei Alan schauen wir runter ins Bett des Eg Gol. Wo vor gut zwei Wochen noch mehrere breite Flussarme zwischen dicht bewachsenen Inseln daherströmten, sehen wir nur noch breite Kiesbetten mit Rinnsalen darinnen.

Als wir von der Höhe auf Mörön hinunterschauen können, sehen wir auch den Delgermörön, einen der Quellflüsse der Selenge, des größten Flusses der Mongolei. Riesig breit hat er die Talaue überflutet, rauscht über Wiesen, durch Gebüsche und Baumgruppen. Mit ähnlichen Wassermassen muß auch der Eg Gol vom See aus vor einigen Tagen zu Tal gerauscht sein. Wir können nur hoffen, dass dort das Hochwasser schon abgeflossen ist.

In Mörön, der Bezirkshauptstadt, geht es zur Bank, Dollar in Tugrik tauschen, anschließend tanken. Die Bezirke heißen auf mongolisch Aimak. Sie entsprechen von ihrer Bedeutung her etwa unseren Regierungsbezirken, unterstehen aber der Zentralregierung in Ulan Baatar. Die Wartezeit nützt der Fahrer des Busses, in dem ich sitze, Freunde oder Verwandte zu besuchen.

Von der Stadt aus geht es erst ost-, dann nordostwärts. Allmählich steigt das Land, weitgehend Steppe, die durch die Regenfälle der letzten Wochen grün ist, an. Die meisten Menschen bei uns stellen sich unter der Mongolei nur eine Sandwüste vor, die bekannte Wüste Gobi. Natürlich gibt es in der im Süden der Mongolei liegenden Gobi auch Sandwüste, aber der größere Teil ist auch felsig, gebirgig, und entspricht meist viel mehr unseren Vorstellungen einer von der Sonne verbrannten, mit trockenen Kräutern und Gras schütter bestandenen Steppe. Nach unserer Flussfahrt haben wir noch einen Besuch in der Gobi unternommen und fanden dort nach den reichen Regenfällen der letzten Wochen eine blühende Steppe vor, riesige "Wiesen" von blühendem wilden Lauch. Erst bei näherem Hinsehen erkennt man, dass die Pflanzen recht weit auseinander stehen, zwischen ihnen offener grober Sand, Kies und Steine.

Wie viele parallele Kratzer im Grün zieht die Piste mit ihren vielen Verzweigungen die Hänge hoch. Wo ein Pistenarm zu tief ausgefahren ist, wird einfach ein weiterer daneben eingefahren. Wo das Gelände es zulässt, laufen so oft zehn und mehr Spuren auf hunderten von Metern Breite nebeneinander her. Wo vom letzten Regen noch eine Wasserpfütze im Weg liegt, fahren unsere beiden Fahrer immer mit äußerster Vorsicht an deren Rand längs, wenn sie sie nicht umfahren können. Man weiß nie, wie tief das Wasser und der darunter liegende Schlamm reichen. Schon mancher hat sich dabei plötzlich festgefahren und kam ohne Hilfe aus dem Schlammloch nicht mehr heraus.

Hier oben im Norden gibt es eine weitere Landschaftsform: Wald. Die Wälder bestehen zum größten Teil aus sibirischer Lärche, durchsetzt mit Kiefern und manchmal auch Birken. Auffällig ist, dass dort, wo Vieh weidet, kaum Unterholz zu finden ist. Vor allem Schafe und Ziegen weiden auch die jungen Bäumchen ab, so dass kein Baum nachwachsen kann. Mir scheint, dass dies auch einer der Gründe ist, dass weiter im Süden nur noch baumlose Steppe zu finden ist.

Bild 11: Herden in der Steppe

Mitten in der Steppe sitzt eine Anzahl großer Vögel am Boden: Mönchsgeier. Irgendwo hier muß es für sie was zu Fressen gegeben haben. Auf die Frage, wie denn in der Mongolei die Verstorbenen bestattet werden, erhielten wir die Antwort, dass sie irgendwo in die Steppe gelegt werden. Kommen dann besonders viele Geier, so wird das als gutes Omen gewertet. Wir sehen es als gutes Omen, dass sie uns nur ruhig hocken bleibend nachschauen.

Geier sehen wir nur ab und zu in diesem Lande. Eher fallen uns die vielen Greifvögel auf, die am Himmel kreisen oder in der Steppe hocken und entweder auf Beute warten oder verdauen. Wenn Zeit und Muße vorhanden sind, sich dieses Land einmal genauer anzuschauen, fällt schnell auf, dass sie auch viel an Futter finden können: Mäuse und andere Nagetiere, Eidechsen und vor allen Dingen viele Erdhörnchen, die unentwegt zwischen den Gräsern und Kräutern und ihren Bauen hin und herflitzen. Unsere Fahrer haben manchmal richtig Mühe, sie nicht zu überfahren. Trotz siebzigjähriger sozialistischer Erziehung sitzt das buddhistische Erbe immer noch tief, das verbietet, ohne Not Leben zu vernichten.

Neben den Greifvögeln sehen wir erstaunlich oft Kraniche. Oft stehen sie gar nicht weit von der Straße im Grün, meist Paare, aber oft auch Altvögel mit ein oder zwei Jungen. Es sind Demoiselle-Kraniche, und wir hören, dass es sie noch in großer Zahl in diesem Lande gibt.

Je weiter wir ins Gebirge kommen, desto abenteuerlicher wird die Piste. Oft muß ich mich krampfhaft festhalten, wo ich gerade einen Griff finde, um nicht mit dem Kopf gegen die Decke oder vom Sitz herunter geschleudert zu werden.

Es geht wieder bergab. Nach der Karte senkt sich die Piste ins Tal des Eg Gol. Aber es dauert noch eine ganze Weile, bis wir den Fluß endlich erblicken. Unterhalb einer Brücke lenken unsere Fahrer auf grasiges hohes Ufer. Wir schauen nach einem Platz, wo wir gut zelten und aufs Wasser kommen können, laden aus und entlohnen unsere Fahrer. Die sehen zu, bald wegzukommen, wollen noch vor Dunkelheit wieder in Hatgal, wenigstens aber in Mörön sein.

Bild 12: Angekommen am Eg Gol

Wir schauen uns erst mal um. Die Brücke ist derzeit nicht passierbar. Das Hochwasser der letzten Tage hat die Brückenauffahrt von Norden her bis auf etwa ein Meter Breite weggeschwemmt. Mehrfach kommen Fahrzeuge, schauen sich die Brücke an, kehren wieder um. Für uns ist beruhigend, dass hier das Hochwasser bereits abgeflossen zu sein scheint, der Fluß ist jedenfalls längst wieder in sein Bett zurückgekehrt. Er hat wahrscheinlich noch einen guten Wasserstand, sieht aber von hier aus eigentlich ganz harmlos aus: schnelles, aber glatt fließendes Wasser. Wir wissen aber, dass es noch anders kommen wird.

Bald kommen auch einige Kinder auf Pferden, schauen sich bei uns um. Wie mit ihren Pferden verwachsen wirken sie, wenn sie im Trab und Galopp über die Steppe reiten. Mit wildem Geschrei reitet eine Gruppe von ihnen über die Brücke, prescht auf der anderen Seite das Ufer hinunter und kommt in aufspritzenden Wasserfontänen durch den Fluß wieder auf unsere Seite. Wir haben für die Kinder immer ein paar Bonbons greifbar liegen, die sie auch gerne annehmen. Auch während der sozialistischen Zeit lebten viele Familien praktisch nomadisch, weil sie mit ihren Herden mehrfach während des Jahres die Weidegründe wechseln mussten, damit die Tiere ausreichend zu fressen hatten oder im Winter in geschütztem Gelände standen. Aber damals wurden statt der Jurten oft feste Holzhütten bezogen, deren mehrere an den verschiedenen Weidegründen errichtet wurden.

Bild 13: Kinder kommen gern zu Besuch; Nomadenbesuch und Kartenspiel

Nach der Wende brachen die meisten der Hirtengenossenschaften schnell zusammen, weil das Fleisch nicht mehr zu den "traditionellen Abnehmern" vermarktet werden konnte, nämlich in die Länder des ehemaligen Ostblocks. Die in den kleinen Dörfern entstandenen Verarbeitungsbetriebe für Fleisch und andere Produkte aus der Tierhaltung stellten ebenfalls mangels Absatzmöglichkeiten ihre Arbeit ein. So blieb vielen der Tierzüchter gar nichts anderes übrig, als zur traditionellen nomadischen Lebensweise ihrer Groß- und Urgroßeltern zurückzukehren und mit den Herden weitgehend als Selbstversorger die angestammten Weidegründe immer wieder im Wechsel der Jahreszeiten aufzusuchen. Wo Holzhütten errichtet waren, werden diese weiter benutzt, wo nicht, wird die transportable Jurte wieder verwendet.

Wir sind, wo wir anlandeten, stets von den Hirten freundlich begrüßt und behandelt worden. Oft kamen erst die Kinder, später auch die Erwachsenen. Meist brachten sie ein kleines Willkommensgeschenk mit, frische Milch, Quark, Yoghurt, getrockneten Yoghurt oder Quark, Butter, das, was sie gerade hatten. Wo sie in größerem Umfange Pferde züchteten, gab es auch Airak, vergorene Stutenmilch, die natürlich erst einmal etwas fremd schmeckt, aber nur etwa 3 % Alkohol hat. Der aus ihr gebrannte Schnaps, gerne von den Nomaden "mongolischer Wodka" genannt, ist ebenfalls nicht sehr stark, geht aber gerade deshalb schnell in die Glieder, weil man nicht "schmeckt", wie viel Alkohol man zu sich nimmt. Wir waren jedenfalls damit immer sehr vorsichtig. Wollten wir mehr von ihren Produkten, erwarteten sie von uns eine entsprechende Bezahlung, wobei die verlangten Preise meist mehr als moderat waren. So konnten wir unsere Vorräte vor allem mit frischer Milch, Butter und Yoghurt verbessern, aber auch an getrockneten Quark und Yoghurt haben wir uns schnell gewöhnt und die knackigen Stückchen wie Chips oder Salzgebäck nebenher gegessen oder zerstoßen in die Soßen für Reis, Nudeln oder Kartoffeln gestreut. Dabei stellten wir schnell fest, dass so einfache Behältnisse wie Plastikflaschen oder große weithalsige Gläser für die Hirten wertvolle Behältnisse darstellen, die wir ihnen gesäubert wiedergeben mussten. Und wo wir solche Gefäße übrig hatten, haben wir sie ihnen gerne gegeben.

Bild 14: Jurtensiedlung; Yak-Hybriden werden gemolken; Getrockneter Quark oder Yoghurt mit Butter oder Schmand zur Begrüßung

Die Zelte stehen, die Boote sind aufgebaut, nachdem wir die Bodenleiter eines der Zweier im Achterschiff mit Klebeband repariert haben. Morgen kann es endlich losgehen auf dem Eg Gol.

Bild 15: Boote und Camp aufbauen; Repariertes Achterschiff des Zweier-Faltbootes; Nachträgliches Richten im Boot


Der Fluß hat wieder Wasser!


Hermann Harbisch


Siehe auch den Artikel


Quelle

  • Dieser Artikel wurde zuerst in Herbert Kropp (Hrsg.): "Binsenbummeln und Meeresrauschen VI" (Dezember 2010), Halbjahresschrift für Flußwandern, Salzwasserfahrten, Freiluftleben und Kleinbootsegeln, Faltenreich Verlag Oldenburg 2010, ISBN 978-3-9811182-7-8, S. 236-245, veröffentlicht. In "Binsenbummeln und Meeresrauschen VI" sind auch die Fotos zum Artikel zu sehen. Vielen Dank an den Autor Hermann Harbisch und an den Verleger Herbert Kropp für die Genehmigung zur Veröffentlichung im Faltbootwiki.


Weitere Fahrtberichte

Der Hovsguul Nuur ist ein Seekajak-Gewässer. Binnenpaddler machten auf dem Greifswalder Bodden Erfahrungen, die auch für den Hovsguul Nuur gelten: "Ein Kompaß hätte [in starkem Dunst] sicher gute Dienste geleistet. ... Auf einer so großen Wasserfläche wie dem Greifswalder Bodden fehlt fast jeder Anhaltspunkt für die eigene Geschwindigkeit, d. h. man hat immer das Gefühl, zu stehen, und neigt dann dazu, sich vorzeitig auszugeben. Bewußte Zurückhaltung und ein bis zwei Essenpausen helfen eher, das Ziel zu erreichen, als ein zu schnelles Anfangstempo." (Uwe Esche 1987 [1])



Weblinks

  • Natürlich sind deutsche Unternehmer auch schon da: http://www.kanutouren-mongolei.de/tours.html (Man beachte: "kh" geschrieben bedeutet "ch" wie in "ach" gesprochen. Ob das Amerikaner sind? Oder Bayern? Die nennen das Nachbarland auch immer "Kina".)


Literatur

  • Harbisch, Hermann: Hoovsgul Nuur. Der See hat Hochwasser - aber wo ist der Abfluß? In: Kropp, Herbert (Hrsg.): "Binsenbummeln und Meeresrauschen VI", Halbjahresschrift für Flußwandern, Salzwasserfahrten, Freiluftleben und Kleinbootsegeln. Faltenreich Verlag Oldenburg 2010, ISBN 978-3-9811182-7-8, S. 236 ff., im Faltbootwiki (derzeit ohne Bilder) unter Hoovsgul Nuur (Bericht einer Faltbootfahrt auf dem großen See)


Quellen

  1. Uwe Esche: Unter vollen Segeln - eine Befahrung von Strelasund und Greifswalder Bodden. In: "Der Kanusport, Mitteilungsblatt des Deutschen Kanu-Sport-Verbandes der Deutschen Demokratischen Republik", 9/1987, S. 15.




Bild-Rot-C.png Dieser Artikel unterliegt dem ausschließlichen Urheberrecht des angegebenen Autors.

Wenn es Interesse an seiner Nutzung gibt, wenden Sie sich bitte an den Autor.
Bei Kontaktschwierigkeiten und Fragen kann man sich an den SysOp GeorgS wenden.

Wir bedanken uns beim Autor für die Nutzungsgenehmigung.