Salzachöfen, Erstbefahrung

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Von Adolf Anderle, Wien



Am 6. September 1931 befuhr Adolf Anderle vom Akademischen Kajak-Klub in Wien in seinem selbsterbauten Eskimo-Faltkajak "Fram" erstmalig den Felsdurchbruch der Salzach auf der Strecke von Sulzau nach Golling, der unter dem Namen "Paß Lueg" oder "die Salzachöfen" allgemein bekannt ist. Der Stand des Pegels Salzburg war - 121. Zeugen dieser kühnen Tat waren Walter Bezecny (Enns-Wildwasser-Kreis) und Wilhelm Örley, beide aus Wien.

Anderle, einer der bekanntesten Pioniere des Wildwassersports, dessen tollkühne Fahrten weit über die Grenzen seiner Heimat hinaus gerühmt wurden, einer der ersten Vorkämpfer der Eskimokentertechnik und des "reinrassigen" Eskimokajaks, ist von einer Skitour am 13. Februar 1932 nicht wieder heimgekehrt. Am Rande eines 60 m tiefen Felsabsturzes endet jäh und unvermittelt seine Spur. Mitten aus heraus aus den Wonnen einer Skiabfahrt stürzte er in das Nichts. —

Seiner Gedächtnis zu Ehren veröffentlichen wir seinen eigenen Bericht von seiner tollkühnsten Faltbootfahrt und danken unseren Freunden vom Österreichischen Kajak-Verband, die ihn uns zur Verfügung stellten. Der Sportwart des ÖKV., Ing. K. Steyr, schrieb dazu folgende Einleitung:

"Das rote Kreuz und die Anmerkung 'Unfahrbar!' in allen Flußführern vor dem Paß Lueg ist nun widerlegt, erscheint somit falsch und ist doch richtig und berechtigt! Es ist die Pflicht der zuständigen Sportbehörde, darauf hinzuweisen, daß eine solche Fahrt an die Grenzen des Möglichen geht und auf jeden Fall mit ernster Lebensgefahr verbunden ist. Die Fahrt wurde von einem besonders begabten Fahrer mit einem eigens für sich erbauten Boote durchgeführt. Es ergibt sich daraus nicht die geringste Berechtigung für den Nachkommenden, sie als aneiferndes Vorbild im Stile 'Was ein anderer kann, kann ich auch!' zu werten. Wir warnen dringendst vor jedem leichtfertigen Befahrungsversuch trotz der geglückten Erstbefahrung. Nur erstklassige Sportsleute, die alle ihre Vorbereitungen unter der gedanklichen Voraussetzung treffen, daß der Paß Lueg unbefahrbar ist und sie eine Erstbefahrung unter Einsatz ihres Lebens versuchen wollen, können ein solches Wagnis verantworten."



Alle Faltbootfahrer, von Werfen kommend, landen bei der Eisenbahnbrücke am Eingang des Paß Lueg, und alle sind sie mißvergnügt angesichts des Zwanges, eine Strecke von fast drei Kilometern übertragen zu müssen. Jeder besichtigt die Öfen, eine tiefe, aus senkrechten Wänden gebildete Schlucht, in der die Salzach, auf einen Bruchteil ihrer Breite eingeengt, mühevoll ihren Weg gefurcht hat. Sie sehen schaudernd vom schmalen Steg in die Tiefe, wo der Fluß aus einem durch Felssturz gebildeten Tunnel hervorbricht und, gleich einer silbernen Stiege, über die Felsblöcke des Ausgangskataraktes hinabstürzt, um dann plötzlich, kaum in die Ebene gekommen, ruhig und glatt dahinzufließen.

Seit fast zehn Jahren lebte der Gedanke, diese so unberührte Strecke zu bezwingen, aber allgemein wurde bezweifelt, daß ein Boot, selbst wenn es durch die Öfen käme, im Gewirr von Stufen und Schnellen im Ausgange sich den Weg erzwingen könnte. Auch ich stand schon so manches Mal am Paß, kletterte stundenlang in Wänden und Löchern herum, bis ich schließlich zur Überzeugung kam, daß eine Befahrung, wenn auch mit einem verschwindend geringen Bruchteil an Sicherheit, möglich sein müßte.

Ich will die Vorbereitungen und die Anfahrt zur letzten Landestelle übergehen. Punkt 2 Uhr nachmittags steht mein schmaler Eskimokajak in der Salzach, und indes ich Spritzdecke und Gummijacke sorgfältig über die enge Sitzluke ziehe, gibt mir Bezecny noch ein paar Ratschläge, wobei er versucht, möglichst zuversichtlich dreinzuschauen. Weiß er doch so gut wie ich, daß - einmal gekentert und das Paddel verloren - für mich keine Hoffnung besteht, aus dem Boot und lebend aus dem tobenden Fluß zu entkommen. Dann geht auch er zur Straße hinauf und alle drei Begleiter fahren im Auto ein paar hundert Meter weiter zur zweiten Stromschnelle in der Anfahrt, die die leichteste ist und doch der Hieflauer-"Höll" in nichts nachsteht. Über eine Zunge schießt das Boot unter einen mächtigen Brecher und einen Moment ist nichts zu sehen. Ich liege auf dem linken Paddelblatt und lasse die Gischt über das Deck hinweggehen. Dann sehe ich Bezecny und Örley lachend winken und etwas rufen.

Im Kehrwasser wird gewartet, bis die Begleiter beim dritten Schwall bereit sind. Der Signalschuß, sogar auf der Paßhöhe hörbar, geht im Brausen des Wassers unter. Auf einen Wink von Fußwanderern ziehe ich los. Dieser Schwall ist die schwerste Stelle bis zum Tunnel. Über einige Felsen zieht das Wasser gleich einer Floßgasse hinunter, links und rechts stehen meterhohe Brecher massiven Wassers, und rechts, fast parallel zum Boot, überschlägt sich eine Wasserwand, die ohne Kenterung nicht zu unterfahren sein dürfte. Vorsichtig und ganz einwandfrei komme ich über die Zunge, werfe mich nach links, um der Wucht der rollenden Wand zu entgehen, und versuche den Kajak zu halten. Aber im gleichen Augenblick ist er gekentert, so rasch, daß ich einen Paddelbruch befürchte. Vorsichtig versuche ich zu streichen: Das Paddel ist heil, der Kopf kommt über Wasser, Gischt ist um mich und in den Blöcken am Ufer sehe ich für einen Augenblick den Kameraden, der die Kamera sinken läßt und leichenblaß nach einem Halt sucht. Es geht ums Leben! Mit einem Ruck muß es gelingen! Wird die jahrelange Übung nützen? Wird das Paddel aushalten?

Ein Moment des Wartens, bis ein Brecher über das Boot hinweg ist - ein Griff - ein Zug - und auf ebenem Kiel steht, mitten im kochenden Schwall, die "Fram". Blitzschnell hat sich alles abgespielt, und doch bin ich etwa 10 Meter weitergetrieben; komme gerade zurecht, um Bezecny abzuwinken, der, um mir zu helfen, sich selber opfern wollte. Es wäre für beide unnütz gewesen. Nie werde ich ihm den guten Willen vergessen, jene Opferfreude, die alle vom Enns-Kr. auszeichnet. Noch gibt es eine Landungsmöglichkeit. Aber das Boot ist unversehrt, die Luke dicht und kein Wasser ist eingedrungen. Ich soll, damit die Begleiter mit dem Auto vorausfahren und nach dem Tunnel photographieren können, 20 Minuten im Kehrwasser warten.

Ich höre das Donnern stromab aus der völlig unzugänglichen, unterirdischen Strecke. Auch wenn jemand bei mir bliebe, würde ich den Mut verlieren und aufgeben. Drum los! Das Auto jagt fort. Ob ich es wohl wiedersehe? Sind die Schwälle jetzt auch leichter, so bergen sie doch unheimliche Wucht. Vor mir, einem riesigen gotischen Fenster gleich, türmen sich Felsen über der Schlucht, bilden einen Dom, durch dessen Decke spärliches Licht fällt. In engen S-Windungen zwängt sich die Salzach durch, einmal, an der engsten Stelle, kaum vier Meter breit. Fast unmöglich ist es, in der Mitte zu bleiben, die Wasserbewegung ist in ein Walzen und Rollen übergegangen. Das sind keine Wirbel mehr, das Wasser rollt in der Flußachse. Den Versuch, an der Wand zu fahren, lasse ich bleiben, muß an eine tödliche Kenterung in der Raminger-Schlucht denken! Wäre mein Boot nicht so lang und schmal, längst wäre es quergedreht. So geht es spurend und zitternd, von vorsichtig weichen Zügen geführt, durch Wirbel und Kehren. Das Wasser, vieltausendmal stärker als ein Mensch je sein kann, würde "rasende Stopphiebe" und "mächtige Schläge" ignorieren. Das mag auf knietiefen Wildbächen gehen. Hier "ginge" nur das Paddel. Von der Brücke aus sahen wir in den Öfen einen Baum kaum zwei Meter über dem Wasser liegen, in der Durchfahrt übersehe ich ihn völlig; dann ist wieder der Himmel über mir, voraus, einem Wächter, der mich halten will, gleichend liegt ein Block von mächtiger Größe. In gewaltiger Bugwelle bricht sich an ihm die Salzach. Die Stelle hatte uns vorher alle schweigsam gemacht. Doch gerade jetzt sehe ich, weit draußen im Tal, ein sonnig leuchtendes Dach. Wie ein Fisch huscht der Eskimo um den Block, durch die wohl einzig mögliche Ausfahrt. Kaum merke ich die Welle, die über Deck und Rücken bricht. Vor mir, fast unentwirrbar liegt Block um Block, wo komme ich durch? Da fallen mir die Widerwellen im Gesäuse ein, ich weiß daß sie eine gewisse Höhe nicht wesentlich überschreiten können. Man muß hier vor allem mit Kopf und Augen fahren! Wo die Widerwelle am höchsten zu sehen ist, muß die Stufe am niedrigsten sein! Die Überlegung erweist sich meist richtig, doch auch die kleinste Barre hat mehr als einen halben Meter. Durch ewigen Richtungswechsel wird die Fahrt nicht eben erleichtert. Einmal bin ich der Betrogene. Hinter der Rutsche liegt tiefer ein Block, das Wasser bäumt sich weit höher als eine Widerwelle sonst sein kann. Der Grönländer schießt wie ein Pfeil darüber hinaus, für einen Moment ist die "Fram" in der Luft. Dann klatscht sie ins Wasser zurück. Ins Wasser, das glatt und ruhig dahinfließt.

Noch 100 Meter bis zur Sandbank! Es sind die schnellsten, die ich je gefahren. Ich denke an meine tapfere Mutter, die mich voll Vertrauen fahren ließ, sie und meine Kameraden warten in der Kuchelau auf ein Telegramm. Ich habe wohl sehr laut gerufen. Wie ich aus dem Felsen hervorkomme, sehe ich Bezecny und Kraus über die steile Wiese kollern und rutschen. Sie waren um wenige Sekunden eher da als ich, zum Gehen nehmen sie sich sichtlich keine Zeit. Dann erhalte ich mein Fahrtenbuch, auf dessen letzter Seite meine größte Fahrt bestätigt ist.

Im weichen Sand, von leisen Wellen liebkost, liegt meine flinke, rasche "Fram". Hat sie dir Ehre gemacht, kleine Taufpatin?


Quelle

Dieser Artikel stammt von Adolf Anderle und erschien im "Kanu-Sport", 13. Jahrgang, Heft 9/1932, S. 93 f. Der Text wurde unverändert aus der Zeitschrift übertragen. – Erstmalig erschien Anderles Text 1931 in der Zeitschrift "Österreichischer Kajak-Sport".


Die Fahrt Anderles wird als der Beginn des heutigen Wildwasserpaddelns gesehen.

Bilder von den Salzachöfen und der Gedenktafel für die Erstbefahrung Adolf Anderles sind auf der Seite des Bayerischen Kanuverbandes zu finden. Sein nur 55 cm breites Boot "Fram", ein Eigenbau, ging auf ein ostgrönländisches Kajak zurück, das im Völkerkundemuseum in Wien zu sehen ist. Der Wiener Hobby-Bootsbauer Herbert Slanar war als Helfer dabei und wandelte den Bauplan nach seinen eigenen Vorstellungen ab. Slanars resultierender Eigenbau "Eqaluk" wurde später das Vorbild für die berühmten "Möll"- und "Drau"-Kajaks Franz v. Albers.

Eine Befahrung der Salzachöfen bleibt Spitzensportlern vorbehalten. Zur Abschätzung sei auszugsweise die Beschreibung von Soulboater.com zitiert:

"Die zahlreichen Marterl im Dom zeigen jedoch die traurige Bilanz der gescheiterten Kanuten. Fährt man erst einmal in die Salzachöfen ein, gibt es kein Zurück. Die glatten und senkrechten Felswände bieten keine Möglichkeit für einen Notausstieg. Wer durch die Salzachöfen fahren will, sollte sich seiner Sache ganz sicher sein. Die Wände sind größtenteils unterspült, einmal sogar syphoniert, und ein Schwimmer hat keine guten Überlebenschancen. Die Rolle sollte daher zu 100% sitzen! Noch besser ist, erst gar nicht zu rollen!! Zu beachten ist, dass die Salzachöfen kraftwerkgeregelt sind und sich der Wasserstand sehr kurzfristig ändern kann! Gefahren: Plötzlich ansteigender Pegel (Kraftwerk); im Winter/Frühlingsanfang Gefahr durch Eisschlag und Lawinen."

Im DKV-Führer "Zentraleuropa" stehen Pegelkriterien für eine mit Schwierigkeiten mögliche, eine gefährliche und eine ggf. tödliche Befahrung. Walter Frentz führt im Buch "In den Schluchten Europas" weitere Pegelkriterien und die Beurteilung Erich Walleczeks auf. "Bis 1950 haben 24 teils freiwillige Befahrungen der Salzachöfen stattgefunden. 16 aller Fahrer haben ihr Unternehmen mit dem Tod bezahlt, darunter zwei Engländer, die 1938 erst nach genauen Informationen einfuhren." Die "Kanusport-Nachrichten" 15/1956, S. 270, vermerkten anläßlich der gelungenen Befahrung durch Kurt Blanke aus Eßlingen, daß dieser 24 Jahre nach der Erstbefahrung erst der 30. Paddler war, der die Einfahrt in die Salzachöfen wagte.

Eine Befahrung aus heutiger Sicht sieht so aus (6-Minuten-Tubenfilm). "Illustriert sehr schön, was im Artikel beschrieben ist, auch wenn heutige Befahrung fast wie ein Kinderspiel ist. Ich kann mich noch erinnern, dass Ende der 1970ger, Anfang der 1980ger die Befahrung der Öfen sozusagen Aufnahmeritual für den Alpinen Kajakclub AKC war. Damals noch in Dickschiffen von 4 m Länge. Heute sind dies kurze Semmeln, die natürlich ne Masse besser um die Ecken kommen. Und das Rollen in jeder Lage ist inzwischen ebenfalls Standard für alle, die dort - locker - runterfahren." (Zitat wolfgang im Faltbootforum vom 5.1. 2020)



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