Masuren aus eigener Sicht (Tesch 1978)

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Lichtenberg, den 1. September, 19.00 Uhr. Reiseunruhe ergriff die Berliner Teilnehmer der Masurenfahrt.

15 Mann, von Einheit Friesen, Empor Zentrum und Tiefbau. Unser jüngster Teilnehmer ist drei Jahre, unseren ältesten habe ich nicht nach dem Alter gefragt.

Der Zug kam, wir stürmten die Liegewagenabteile mit unserem "kleinen" Gepäck, Boote, Rucksäcke und Beutel.

Der Regen trommelte auf das Dach des Waggons, was uns aber nicht am Schlafen hinderte.

Ankunft in Gdynia, zwei Stunden später weiter nach Spychowo.

Hoch leben die Kavaliere. Wir verteilten uns auf die Wagen, und zwei Polen halfen uns, dem schwachen Geschlecht, das Gepäck in das Abteil zu transportieren. Sechs Stunden bis Spychowo. Mit gestreiftem Po landeten wir endlich in Spychowo, schnallten die Boote auf und schoben sie, die Holzbänke im Zug nicht vergessend, zum Zeltplatz. Gleich nach dem Zelt- und Bootsaufbau spielten wir Volleyball. Wir gaben uns Mühe und wühlten viel Sand auf. Und der Wind fegte durch unser strähniges Haar. Als ob es herbstelt. Einige liefen sogar mit Pudelmützen rum. Die "Sport" qualmte durch den Wald, die Raucher stellten sich auf eine neue Zigarettenmarke um.

Die sternenklare Nacht rief Hoffnungen hervor, der neue Tag zerstörte sie.

Bei der Eröffnung staunte man. Höchstens 150 Teilnehmer, die Hälfte gegenüber dem vorigen Jahr.

Ein Regenguss scheuchte die Teilnehmer in die Kawarnia, der Start wurde um eine Stunde verschoben. Manche fuhren trotz Wind mit freiem Oberkörper und lockten ab und zu die Sonne hervor.

Das Zeitlimit von 3 h konnte bequem geschafft werden.

Am Ziel in Cierzpięty riesige Pilzfunde. Wir aber kochten uns eine von diesen "berühmten" Tütensuppen. Vornehm, wie wir sind, lagen wir alle auf dem Bauch und löffelten aus einem Topf.

Volleyball im Regen vermittelt einen Hauch Romantik von dieser Fahrt. Es wollte aber keine richtige Stimmung aufkommen. War der Regen schuld?

Der Himmel ist nun schon blauer.

Heute hatten wir eine Knüppelstrecke mit zwei Umtragungen vor uns. Eine Fahrt auf dem reißenden, flachen Flüsschen, der Krutynia, gewürzt mit Regenschauern. 26,6 km in 3 h. Viele schafften die Zeit nicht. Als ich erschöpft ankam, war mein Zelt fast aufgebaut. Ich dankte den fleißigen Helfern und kaufte eine kleine Schokolade. Dann folgten Spiele für die Teilnehmer, Ringe werfen, speziell für die Männer Expander ziehen, viel Fußball, wo Frauenfußballer mit großem Hallo begrüßt wurden. Die Organisation solcher Spiele ist eine großartige Idee und wäre auch etwas für unsere Fahrten. Abends saß man verstreut in den größeren Zelten, erwärmte sich mit Hilfe der Kenterflasche, plauschte oder lauschte auf gleichmäßiges Getrommel des Regens. Vielleicht eine Nachricht für uns, die Fahrt abzubrechen, oder eine Herausforderung. Wer weiß?

Es trommelte die ganze Nacht auf die Zeltdächer.

Mikołajki rief, wir kamen in Schwärmen über den See. Eine Kurve, noch eine Kurve, der See wollte kein Ende nehmen. Mikołajki zeigte sich nicht, dafür dicke Wolken am Himmel.

Und dann in der Ferne die Kirche. Wenn man glaubt, Kühe kann man durch einen Zaun abschrecken, der irrt. Das Zelt ward aufgebaut und neben ihm stand die Kuh und schmatzte aufdringlich. Ein Glück, dass wir tapfere Männer bei uns hatten. Mit den bekannten Brustlauten "Hu, hu" trieben sie die Kuh hinter den Zaun. Dann überfielen wir Mikołajki. Die Frytkibude, die Läden, das reizende Cafe. Polnische Sportler wollten die weibliche Vertretung zum Tanz locken.

Latschend und tratschend, beladen mit Kitsch, erreichten wir das Biwak. Abends traf man sich zum Schach und Musik hören in der Kawarnia. Wer zum Feuer wollte, ging zum Feuer.

Dieses Mal wurde man nicht durch Regen bei der Betrachtung des Sternenhimmels gestört. Wieder rief der Himmel Hoffnungen in uns hervor. Werden sie auch diesmal zerstört?

Ein Ruhetag, wir brauchten ihn. Zerstörte Hoffnungen gab es nicht, die Sonne lachte mächtig über diesen kleinen Urlauberstaat. Wenn wir Ruhetag sagen, dann stellt sich jeder etwas anderes vor. Wir ruhten aus vom 20-km-Paddeln, kleine Regatten wurden trotzdem gefahren. Ein Volleyballturnier fand statt, man saß also auch am Ruhetag nicht still. Unsere Volleyballmannschaft schlug sich tapfer gegen die polnischen Volleyballspezialisten, dafür waren wir in den Faltbootregatten nicht zu schlagen. Auch dieser Tag verneigte sich vor uns, wir vor ihm, denn es war ein schöner Tag. Wieder muss alles verpackt werden, und wir verließen Mikołajki bei herrlichem Wetter.

Auf nach Szymonka.

Seen, Seen, Seen, Seen und keine Lust. Fast als letzte starteten wir. Am Ziel stand schon eine Bude, und es wurden Bigosch und Flatkis verkauft. Das Essen muss wieder abgearbeitet werden, und warum nicht gleich beim Marathonschwimmen. Das eisige Wasser hielt viele davon ab. Knapp 20 Männer und eine Frau. Ja, Mut gehörte dazu, denn die Sonne ging langsam unter, und ein Tag Sonnenschein konnte das Wasser auf keinen Fall erwärmen. Man schwamm, kämpfte gegen Kälte, kleine Wellen und zeitweilige Schwäche. Der Kampf gegen das eigene schwache Ich, einer der schwersten, aber schönsten Kämpfe. Erschöpft, glücklich über das Geschaffte kamen die Schwimmer an, zogen sich trockene Sachen an, tranken den von ihren Kameraden gemachten Tee und gingen zum Tauziehen. Eine tolle Belustigung nicht nur für die Zuschauer. Schlammtauziehen, Mannschaft gegen Mannschaft, die sich gegenseitig durch den Schlamm zogen. Sogar Frauenmannschaften wurden gestellt. Eine Mannschaft, bestehend aus zwei Frauen. Hatten die Frauen über die Männer gelacht, konnten diese jetzt über die Frauen lachen, was sie auch zur Genüge taten. Arme Frauen! Kämpfen macht hungrig, Abenddämmerung lockte zum Lagerfeuer. Zum ersten Mal fand ein richtiger Gesangswettbewerb statt. Vor Begeisterung verstummten wir wieder. Oder konnten wir keine Volkslieder?

Unsere Schüchternheit in Bezug auf Singen ist ja bekannt.

Es muss viele einsame Frauen geben, ihre Tränen ergossen sich sintflutartig über unsere Häupter. Es war kalt. Fluchtartig rissen wir die Zelte ein und starteten.

Es regnete und regnete, und die Seen wollten kein Ende nehmen. Der Wind quälte uns und ließ unsere Boote über die Wellen springen. Frage "Wer-Wen": Regen, Wellen und Wind uns, oder schaffen wir sie.

Der letzte See hätte einen zu Tränen rühren können.

Weit und breit Wasser, der Nebel ließ nur undeutlich die ach so ferne Stadt Giżycko, das Endziel, erkennen. Drei Zweiern mit Besatzung wurde der Wille gebrochen, und unser kleines Begleitboot "Inspektor" fischte die Unglücklichen aus dem See. Durchnässt bauten wir die Zelte auf, klapperten solidarisch mit den Zähnen. Trockene Sachen, Schlafsäcke und Luftmatratzen hatte kaum noch einer. Die angesagte Disko fiel wegen Regen aus.

Fazit, man sammelte sich zum lustigen Umtrunk in den Bussen. Dann angenehmes Frieren in feuchten Zelten.

Nur noch bewölkt, kein Regen, Abbruchstimmung schwirrt durch die Luft. Oh wie qualvoll, an den kommenden Abschied denken zu müssen. Der Bootsbau lenkte etwas ab. 10.00 Uhr, Abschlussappell mit Siegerehrung, Verteilung von Pokalen. Und dann war noch Zeit zum Abschiednehmen. Quälende Minuten, geheimnisvolle Blicke, kleine Zettelchen, die von polnischer Hand zu deutscher Hand gingen, versteckte Küsse. Ach ja, trotz der schweren Fahrt, überall Traurigkeit. Lachte die Sonne uns etwa aus? Alle waren fort, die Berliner Gruppe schlenderte durch Giżycko, vertrieb sich die Zeit bis zur Abfahrt des Zuges um 23.00 Uhr nach Poznań.

Man war mit einem Bein schon zu Hause.

Kopf an fremde Füße, Knie an das Polster gepresst, schliefen wir bis Poznań. Dann endlich wieder waschen und gereinigt nach Berlin. Jetzt waren fast zwei Beine in Berlin. Was wird nun jeder als erstes zu Hause machen?

Nächstes Jahr soll eine andere Trasse gefahren werden. Vielleicht ist die Teilnehmerzahl dann wieder größer.


Quelle

Dieser Artikel stammt von Eleonore Tesch, geb. Richter, und erschien in der Zeitschrift "Der Kanusport, Mitteilungsblatt des Deutschen Kanu-Sport-Verbandes der Deutschen Demokratischen Republik", 25. Jahrgang, Heft 11/1978, S. 6-7.

Der Text wurde aus der Zeitschrift übertragen, dabei die neue deutsche Rechtschreibung berücksichtigt und die Schreibweise der Ortsnamen dem polnischen Schriftbild angeglichen. Eine Aktualisierung der Fakten auf heutigen Stand (neue Zeltplätze, Umtragemöglichkeiten, geänderte Zugverbindungen usw.) wurde nicht durchgeführt. Neue Fahrtberichte der letzten Jahre werden gerne entgegengenommen!

Vielen Dank an Eleonore Tesch für ihre Genehmigung zur Veröffentlichung im Faltbootwiki.


  • Für weitergehende Infos siehe den Artikel Krutynia.




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