Bis zum bitter(süß)en Ende - Labrador 1986

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EINE EXPEDITION IN LABRADOR (1986)


Fahrtbericht von Hendrik Schloemann, Email: rems[KLAMMERAFFE]inds-ct.co.za


Inhaltsverzeichnis

Teil 1: Vorbereitungen

Im Oktober 1984 schmökerte Gerhard, ein 32-jähriger Elektrotechniker aus Kassel, in dem Buch "Kanada für Fortgeschrittene" von Elmar Engel. Er fand dort einen Bericht über den "River of no return", den "Little Mecatina River" (Rivière du Petit-Mécatina). Trotz der Kürze des Berichts packte es ihn! Die Idee, den Mecatina River zu befahren, war geboren.

Nun hieß es, Informationen zu sammeln und Partner zu finden. Also Menschen finden, die in ihrer Freizeit gerne mal auf alles verzichten, was das Leben hier angenehm und lebenswert machen soll. Gerhard gab Anzeigen in verschiedenen Fachzeitschriften auf. Es meldeten sich nur wenige Interessenten. Außerdem gab es einen weiteren Rückschlag. Elmar Engel schrieb, daß die Erzbahn von Sept-Îles (Quebec) nach Schefferville (Labrador), die die einzige Möglichkeit darstellte, nach Labrador City zu gelangen, wahrscheinlich stillgelegt werden sollte, und dass auf dem Mecatina River ein Kraftwerk in Planung war, das eine Befahrung vereiteln würde. Gerhard legte seine Pläne desillusioniert beiseite.

Unerwartet fand Gerhard fast ein Jahr später brauchbare Kartenkopien im Briefkasten. Absender war der kanadische Kanuverband. Gerhard stellte neue Nachforschungen an und fand heraus, dass vorerst kein Kraftwerk gebaut werden soll und dass Labrador City einen Flughafen besitzt. Er inserierte noch einmal, um Mitreisende zu finden.

Ich, Hendrik, ein 23-jähriger Geologie-Student aus Köln, las in der "Tours" die Anzeige: "Mitreisende für Labrador-Expedition gesucht". Sofort war mir klar: "Das ist das Richtige für mich". Inzwischen hatte auch Manfred, 33-jähriger Sportlehrer aus Münster und Vater einer Tochter, Kontakt zu Gerhard aufgenommen. Jeder von uns bereitete sich individuell auf die Strapazen vor. Gerhard lief, Manfred ging einer Kampfsportart nach, und ich betrieb mein Hobby, den Wildwasserrennsport. Außerdem lasen wir, was wir über Labrador auftreiben konnten, und versuchten, Erfahrungen aus früheren Erlebnisurlauben aufzuarbeiten.

Im Winter 85/86 verbrachten wir ein gemeinsames Wochenende. Wir lernten uns kennen, planten und verteilten Aufgaben. Ostern 86 trafen wir uns zum zweiten Mal. Wir versuchten, sechs Tage lang Kanada-Bedingungen zu imitieren. Das Wetter half uns dabei insofern, als dass Schneeschauer und Windböen ihr Unwesen trieben. Wir machten eine kombinierte Fluss- und Fußwanderung, wobei auch das Portagieren (das Bewältigen längerer Landtransporte) trainiert wurde. Unser vierter Mann, Erhard, ein Urbayer, zog sich einen schmerzhaften Bänderriss zu. Später sagte er uns aus geheimnisvollen Gründen kurzfristig ab. Am abendlichen Lagerfeuer besprachen wir Einzelheiten und versuchten, uns an die für Kanada errechneten Kalorienpläne zu halten. Wir trennten uns guter Dinge.

Jedoch als dann Erhard absagte, kamen unsere Pläne wieder ins Wanken, denn wir wollten aus Gründen der Zuladung und des Transports bei Portagen unbedingt mit zwei Indios (aufblasbare Metzeler-Schlauchkanadier) fahren. Also mussten wir unbedingt zu viert fahren. Ein weiterer Interessent sagte uns aus finanziellen Gründen kurzfristig wieder ab. Trotz panischer Anstrengungen gelang es uns nicht mehr, jemanden anzuwerben. Aufstecken wollte keiner, also beschlossen wir, zu dritt zu fahren. Gerhard besaß ein ca. 20 Jahre altes Einerfaltboot, getauft auf den Namen "DKV-Gaby". Trotz seines fortgeschrittenen Alters sollte ihm das größte Abenteuer erst bevorstehen.

Die Provinz Labrador liegt im Osten Kanadas. Der festländische Teil ist 30.000 km² groß und von ca. 20.000 Menschen bewohnt, die vornehmlich an der Küste siedeln (BRD bis 1990: 250.000 km² und 63 Mill. Einwohner). Zum besseren Verständnis möchte ich die geplante Route kurz beschreiben: von Labrador City über ein Seensystem zum Mecatina River. Auf diesem ca. 400 km langen Teilstück warteten mehrere Portageketten auf uns, außerdem galt es, einige Flüsse gegen den Strom zu befahren. Dann, an dem Ursprung des Mecatina angelangt, wollten wir diesen Fluss bis zu seiner Mündung in den St.-Lawrence-Golf hinunterpaddeln. Der "härteste Brocken", eine ca. 15 km lange unbefahrbare Schlucht, erwartete uns ca. 150 km vor der Mündung. Zu unserer Ausrüstung gehörte deswegen auch Kletterzubehör, um die bis zu siebzig Grad steilen Wände der Schlucht erklimmen zu können. Denn das ist unvermeidbar, wenn man die unbefahrbaren Wasserfälle umtragen will.

Wenige Tage vor unserem Abflug trafen wir uns zum letzten Mal, um die Ausrüstung durchzuchecken und die letzten Fragen zu klären. Ich sollte und wollte im Faltboot fahren und nahm noch einige Renovierungsarbeiten an ihm vor.

Die Gefühle, die man einer solchen Reise entgegenbringt, sind sehr heterogen. Sie schwanken zwischen Selbstbewusstsein und Angst vor dem Unkalkulierbaren. Wir waren gut und auf Außerplanmäßiges vorbereitet, warum also Angst haben? Wenn man aber in die Augen derer schaute, die sich in einer mehr oder weniger dramatischen Art und Weise verabschiedeten, dann "konnte einem ganz anders werden". Ich bin ganz ehrlich, irgendetwas in mir klammerte sich an Köln mit all seinen Sicherheiten. Andererseits sind es gerade diese Sicherheiten, von denen ich mich wenigstens im Urlaub einmal trennen möchte. Die Reise war nun endlich real geworden. Aus den hunderten von Merkzetteln, aus den Gedankenfetzen, aus den Gesprächen und aus den Arbeitsstunden schien sich tatsächlich die Erfüllung eines oft geträumten Traumes zu ergeben! Erst mal an die Startmarkierung vorgefahren, würde niemand mehr unser Flugzeug aufhalten können. Und mit dem Boden unter den Füßen würden uns auch unsere Alltagssorgen verlassen.


Teil 2: Teilstück bis zum Mecatina

Nachdem wir die Nacht in der Nähe des Flughafens bei Brüssel verbracht hatten, war es dann endlich soweit! Am 3.8. 1986 flogen wir ab. Gerhard, der sich den Urlaub vom Vorjahr aufgespart hatte, musste sich erst mal an den Gedanken gewöhnen, acht Wochen Urlaub zu haben. Wir hatten einen guten Flug und sahen den "River of no return" bereits aus dem Flugzeug. Durch die Zeitverschiebung hatte der Tag für uns fast 30 Stunden. Todmüde suchten wir Unterschlupf in einer Jugendherberge Montreals. Früh am nächsten Morgen ging unsere Reise weiter. Mit Zwischenlandung in Sept-Îles gelangten wir nach Labrador City. Von hier aus wollten wir in die Wildnis stechen. Wir meldeten uns bei der Touristeninformation, und das erste, was wir erfuhren, war, dass vor einer Woche sechs Kanuten auf dem Mecatina in Not geraten waren. Da sie ein "ILT" (Peilsender, um sich bei Flugzeugen bemerkbar zu machen) besaßen, konnten sie nach wenigen Stunden geborgen werden. Leider hatten wir kein solches Gerät, und es gab auch keine Möglichkeit, noch eins zu kaufen. Sonst war den Leuten nichts von einer Befahrung der von uns geplanten Route bekannt. Wir mussten uns also mit den von uns gesammelten Informationen begnügen. Wir verfügten über einen kompletten Kartensatz im Maßstab 1:50.000 und über eine Flussbeschreibung des Mecatina.



4.August / 5. August (1./2. Tag)

Wir schliefen bei John, der mit seinen zwei Buschflugzeugen Angeltrips organisiert. Während wir unentwegt einkauften, stellten wir fest, dass alle fehlenden Ausrüstungsgegenstände und Lebensmittel in Labrador City erhältlich waren. Manfred erledigte bei der Polizei die Formalitäten: Feuererlaubnis, Angelerlaubnis und Hinterlegung unserer Route. Außerdem wurde vereinbart, dass ein Suchtrupp losgeschickt werden sollte, wenn wir uns bis zum 20.9. nicht telephonisch zurückmelden würden. Alle Einwohner waren sehr freundlich, und wenn wir von unserem Vorhaben erzählten, taten sie ihr Bestes, um uns zu helfen. Manchmal bekamen wir sogar Ausrüstungsgegenstände geschenkt.

Um bei einem Verlust der Ausrüstung, z.B. durch eine Kenterung hervorgerufen, nicht ganz "ohne" dazustehen, verstaute ich in meinen Westentaschen viele lebenswichtige Gegenstände. Auch Gerhard und Manfred hatten auf ähnliche Weise vorgesorgt.



6. August (3. Tag)

Nachdem wir alle Einkäufe erledigt hatten, versuchten wir den neben den Booten sehr groß erscheinenden Ausrüstungsberg zu verstauen. Es gelang uns! Nachdem wir eine Flasche Whisky an John verschenkt hatten, ging es endlich los!

Es war Nachmittag, 16 Grad "warm" und regnete leicht. Die Boote waren völlig überladen, und schnell stellte sich heraus, dass meine "DKV-Gaby" besser lief als der Zweier. Nach ca. dreistündiger Fahrt schlugen wir unser Lager an einem Sandstrand auf. Schon bald war der Bauch voll und die Stimmung gut. In der Abendstille hörten wir in der Ferne das Erzwerk von Labrador City donnern.



7. August (4. Tag)

Die Nacht verbrachten wir unter unserem Sonnensegel, einem großen Tuch aus Zeltstoff, das wir zwischen den Bäumen aufspannten. Da es in Labrador von drei Tagen zwei regnet, sollte es sich bewähren.

Eigentlich wollte ich damals in mein Tagebuch schreiben, dass die Mücken nicht halten, was die Bücher und die Leute versprochen hatten. Am Nachmittag jedoch wurde ich eines Besseren belehrt. Sobald wir uns in Ufernähe aufhielten, fielen die Mücken über uns her. Zum Glück schienen die Mücken meine persönliche Note nicht zu mögen, aber auf Gerhard standen sie senkrecht.

Die Temperaturen lagen um 14 Grad. Regenschauer und mäßiger Wind begleiteten uns. Unterwegs sahen wir einige Fischotter. Die ich, als echter Zivilisationsmensch, zuerst mit badenden Bären verwechselte! Als wir auf sie zupaddelten, entdeckten sie uns und kamen uns entgegen. Es schien, als würden sie sich genauso freuen wie wir. Sie schauten, wackelten mit den Köpfen und grunzten neugierig.

Der Indio wog damals ca. 400 kg und war dementsprechend schwer fortzubewegen. Auf stehendem Wasser schafften wir in 8 Stunden nur 24 km.



8. August (5. Tag)

Ein wunderbarer Tag! Das Leben war so, wie ich es mir oft erträumt habe. Den ganzen Tag knallte die Sonne. Daran wird sich vor allem Gerhard gut erinnern können, denn er holte sich einen Sonnenbrand.

9 Stunden paddelten wir über einen riesigen See. Die Landschaft war monoton. Unendlich große, schwarze Wasserflächen lagen vor uns. Am Horizont ein grüner Waldstreifen, der einfach nicht näher kommen wollte, und darüber der Himmel. In jede Richtung schien es unendlich weit. Diese Monotonie ließ mich sehr ruhig werden. Alles erschien mir riesig groß, und in mir schrumpfte das, das wir Alltagsprobleme nennen.

Sechs Stunden zog ich vergeblich meinen Blinker hinter dem Boot her. Dann dachte ich, mein Angelhaken hätte sich auf dem Boden verhakt. Ganz langsam gelang es mir, die Schnur einzuholen. Was da nach oben kam, vermittelte mir mehr das Gefühl eines Eimers als das eines zappelnden Fisches. So war ich sehr erstaunt, als mich eine 60 bis 70 cm lange und ca. 7 kg schwere Forelle anglotzte. Wir mussten das Prachtexemplar am Ufer gemeinsam landen. Nach dem Essen konnte keiner mehr "Piep sagen", obwohl wir den Fisch nicht ganz aufessen konnten. Nun glaubten wir auch den Erzählungen der Einheimischen, die besagten, dass Fisch im Überfluss zu fangen sei. An dieser Stelle möchte ich jedoch darauf hinweisen, dass man sich nicht darauf verlassen darf, Fische zu fangen, denn es gab auch Gewässer, aus denen wir nicht einen Fisch angeln konnten. Später wurde uns klar, dass eine Angel überflüssig ist. Blinker, Vorfach und Schnur, die man um einen Ast wickelt und hinter dem Boot herzieht, reichen aus.



9. August (6. Tag)

In der Nacht konnte ich lange nicht einschlafen. Ein wunderbarer Sternenhimmel bekam vom Nordlicht die Krone aufgesetzt.

Die ersten einfachen Rapids (= Stromschnellen) lagen hinter uns. Obwohl ich das auch vorher wusste, wurde mir deutlich vor Augen geführt, dass das Wildwasserfahren mit meiner völlig überladenen "DKV-Gaby" eine heikle Angelegenheit war. Ich fuhr äußerst konzentriert, denn einen Stein zu übersehen konnte das Ende der Fahrt bedeuten. Unterwegs sahen wir zwei Karibus. Alle Tiere verhielten sich grundsätzlich anders als bei uns: sie waren neugierig, vertrauensvoll und flüchteten spät.

Am Abend genossen wir den frisch gefangenen Fisch. Dabei setzten wir uns in die Rauchfahne unseres Feuers, um der Mückenplage zu entgehen.

Ich berichte in meinem Tagebuch von den Außergewöhnlichkeiten und von den Erlebnissen eines Tages. Die Gefahr, zu vergessen, dass die Vorkommnisse von vielen Stunden des Nichts getrennt waren, ist groß. Diese Zeit in Worte zu fassen fällt mir schwer: sie wurde getragen von der Weite, der Stille, der Eintönigkeit und der Schönheit der Landschaft.



10. August (7. Tag)

Zum Frühstück rauschten uns die Marshall Rapids ihr Lied. Das waren die ersten schwereren Stromschnellen (WW 3-4), die es zu überwinden galt. Da wir kein unkalkulierbares Risiko eingehen wollten, treidelten wir sie teilweise.

Nun mussten wir einen See queren. Denn auf der gegenüberliegenden Seite lag laut Karte der Ausfluss des Sees, auf dem es weitergehen sollte. Frustriert stellten wir fest, dass es sich um einen einmündenden Fluss handelte! Schon bald kamen die ersten Stromschnellen. Eine 5-stündige Tortur begann, mehr rutschend als gehend balancierten wir über die aalglatten Steine. Immer wieder fielen wir hin oder klemmten uns die Füße zwischen den Steinen. Die Boote zogen wir an einem Strick hinter uns her. Da wir keine Hände frei hatten, zerstachen uns die Mücken gnadenlos. In völliger Wildnis waren wir noch nicht, denn über den Fluss spannte sich die Brücke der Erzeisenbahn. Fast im Dunkeln und ziemlich entkräftet schlugen wir das Lager in einem moskitoverseuchten Gebüsch auf. Ich benutzte das erste Mal den Mückenschleier, der sich noch oft bewähren sollte.



11. August (8. Tag)

Die verdammten Moskitos! Manfred, der draußen geschlafen hatte, bekam die Augen kaum noch auf. Ich stellte fest, dass meine ganze Unterhose voller Blutflecken war. Die Biester waren in die Hose gekrochen und hatten auch die intimsten Körperteile nicht verschont.

Es ging den Ashuanipi River hinauf. Dann endlich erreichten wir den Ashuanipi Lake. Doch schon ergaben sich neue Probleme. Ein ständig stärker werdender Wind warf hohe Wellen auf und ließ uns fast auf der Stelle paddeln. Wir sahen ein, dass es nicht mehr weiterging. Auf den letzten zweihundert Metern bis zum Lagerplatz wurde ich durch die Wellen klitschnass. Manfred und Gerhard treidelten am Ufer entlang, weil ihnen der Wind keine Chance mehr ließ. Nur 4 km hatten wir geschafft. Wir saßen fest! Jedoch hofften wir, dass sich der Wind nachts legen würde. Wir wollten dann gegen zwei Uhr aufstehen, um weiterzupaddeln. Aber Pustekuchen, der Wind wurde immer schlimmer.

Im abendlichen Feuer backten wir uns Sauerteigbrot, welches sehr gut schmeckte.



12. August (9. Tag)

In der Nacht ließen uns die pfeifenden Windböen nicht einschlafen, außerdem wurde mein Schlafsack nass. Zu allem Überfluss stellten wir fest, dass ein Nagetier unseren Lebensmittelsack angefressen hatte.

Der Wind ließ weiterhin keinen Optimismus aufkommen. Doch dann kam der rettende Gedanke. Ca. 10 km entfernt gab es einen Bahnhof. Vielleicht konnten wir dort Hilfe erwarten. Manfred und ich gingen los. Wir fanden einen Weg, der zu einem verlassenen Dorf führte. Dann kam uns tatsächlich ein Geländefahrzeug mit zwei Gleisarbeitern entgegen. Sie sagten uns, dass morgen eine Erzbahn in Richtung Süden durchrollen würde. Ungefähr 80 km weiter südlich, in Oreway, kreuzten die Gleise ein zweites und letztes Mal unsere Route. Es bestand also die Möglichkeit, den für uns unüberwindlich gewordenen Ashuanipi Lake zu umfahren. Der Zug würde wegen uns in Oreway halten.

Gesagt, getan! Nachdem wir unsere Ausrüstung zusammengepackt hatten, gelangten wir mit dem Auto der Arbeiter zum Bahnhof. Dort angekommen, fanden wir die ersten Bärenspuren. Wir sollten aufpassen, sagte man uns. Die Lebensmittel durften wir in einen Schuppen einschließen.



13. August (10. Tag)

Obwohl ich Bärenalpträume hatte, ließ sich der Bär in der Nacht nicht blicken.

Da die Bahn erst mittags kam, hatte ich Zeit, etwas nachzudenken. Ein erstes Mal war uns gezeigt worden, wie schnell wir am Ende unserer Möglichkeiten waren. Wir hatten das unverschämte Glück, dass es uns auf dem einzigen Teilstück erwischte, auf dem unsere Route parallel zum einzigen Verkehrsmittel in einem riesigen Umkreis verlief. Ich fragte mich, ob es ein Zufall oder eine Warnung war. Von Oreway aus war für 950 km mit keinerlei Zivilisation mehr zu rechnen --

Die Bahn war entgegen ihrem äußeren Erscheinungsbild komfortabel. Die Reisenden wiesen ein buntes Farbenspektrum auf. Vom "Indianer" bis zum Chinesen war alles vertreten. In jedem Waggon standen zwei Kohleöfen. In Oreway angekommen, befanden wir uns in einem traurigen Nest, das nur für Bahnarbeiter erbaut worden ist.

In drei Gängen portagierten wir unser Gepäck zum Lac-a-l'Eau-Claire (Clearwater Lake). Dort bauten wir Boote und Lager auf. Ich konnte die ganze Nacht kaum schlafen, da der Wind durch die Wipfel pfiff, ein Käuzchen konstant lärmte und der Regen mir ins Gesicht nieselte.



14. August (11. Tag)

Gegen fünf Uhr morgens schlief der verhasste Wind endlich ein, dafür aber erwachten die Mücken und trieben uns aus den Schlafsäcken. Ein wunderbares Morgenrot hob die Stimmung und ließ unsere Kameras einige Male klicken.

Um sieben Uhr, unter erwachter Sonne und mit leichtem Rückenwind, ging es los. So schnell kann sich hier alles ändern. Gestern wussten wir nicht mal, ob es überhaupt weitergeht, und jetzt war alles bestens. Nachdem wir den See gequert hatten, ging es auf einem mäandrierenden Kleinfluss weiter. Die Landschaft wechselte schlagartig von großer Weite zu einer idyllischen Moorlandschaft. Wir sahen einen Biber, Biberburgen, Bisamratten und Nerze.

Im Laufe des Tages bissen vier Hechte an meinen Blinker! Der kapitalste, ein wirklich gewaltiger Brocken, schluckte den Blinker mitsamt Stahlvorfach runter und biss die Schnur durch. Pech für uns, aber noch größeres Pech für ihn. Ein qualvoller Tod erwartete ihn. Ein anderer konnte sich wieder vom Haken befreien. Glück für ihn, Pech für uns. Die anderen endeten in unseren Bäuchen. Glück für uns.

Obwohl wir unser gestecktes Tagespensum (30 km) wieder mal nicht schafften, ging es uns prächtig.



15. August (12. Tag)

Nach einem späten Frühstück ging es, von der Sonne verwöhnt, weiter. Wir fingen den ersten Lachs. Er biss mitten in einer Stromschnelle an. Es handelte sich um einen Binnenlachs.

Bald erreichten wir den "See ohne Wasser", der seinen Namen nicht zu Unrecht trägt. Er ist ca. 8 km lang, aber nur 20 bis 40 cm tief. Die Karibus spazierten mitten durch den See. Der Zweier wollte immer wieder geschoben werden, da er zu tief im Wasser lag. Schließlich erreichten wir doch noch den Ausfluss und gelangten auf ihm an einen schönen Sandstrand.

Manfred unterbreitete uns, dass er Geburtstag habe, und packte eine Flasche vom Besten aus. Dadurch veranlasst, stellten wir ein Meisterwerk der Kochkunst auf die Beine. Mitten in der Wildnis gab es Lachs, Spaghetti, Feigen, Pudding, Whisky und Zigarillos. Gerhard und Manfred nahmen danach noch ein Bad. Paddlerherz, was willst Du mehr?



16. August (13. Tag)

Es ging auf braunem Wasser weiter. Die Steine waren schlecht zu sehen. Dann passierte es! Der Indio trieb quer vor einen Stein, das Boot schlug um und die beiden standen im ca. 1 m tiefen Wasser. Bei guter Verpackung der Ausrüstung eigentlich keine Tragik, aber o Schreck, Manfreds Fotoausrüstung und sein Fernglas lagen auf dem Flussgrund. Die Kamera fiel für den Rest des Urlaubs aus, und wir gingen mit Gerhards Fotoausrüstung um so vorsichtiger um.

Die folgenden Stromschnellen, in denen wildverstreut große Blöcke lagen, meisterten wir mit der nötigen Vorsicht. Während am Ufer ein Fuchs seinen Reviergang machte, konnten wir in der Ferne einen Weißkopfseeadler beobachten.

Gegen Abend erreichten wir den Lac Joseph, der die mehrfache Ausdehnung des Bodensees hat und ähnlich in Erscheinung tritt wie der Inarisee in Lappland. Der See ist mit Inseln (glazialen Kiesrücken) übersät, auf einer der Inseln fanden wir eine verlassene, aber intakte Hütte. In der Hütte fanden wir sogar Lebensmittel. Später bereuten wir, dass wir unsere Vorräte nicht ergänzten.

Wir genossen den windstillen Abend bei Vollmond auf einem mückenfreien Sandstrand.



17. August (14. Tag)

Morgens: Frühstück in einer Blockhütte, Sonnenaufgang, blauer Himmel und eine eigene Insel. Einfach schön!

Um Abwechslung ins Paddeln zu bringen, fuhr ich heute im Zweier und Manfred im Kajak. Wir kamen flott voran und erfreuten uns an Temperaturen um 25 Grad. Doch vom Glück zum Pech kommt man ja bekanntlich schneller, als man denkt, und selten, wenn man daran denkt. Zum ersten Mal verloren wir in einem Wirrwarr von Inseln die Orientierung. Nicht mehr zu wissen, wo man ist, ist ein äußerst unangenehmes Gefühl. Wir stiegen aus, beratschlagten und machten Mittagspause. Unter Einhaltung einer Marschzahl, die uns in jedem Fall zu einer markanten, langgezogenen Insel bringen musste, fuhren wir weiter. Nach einer Stunde kam die Insel in Sicht und uns war wieder wohler ums Herz.

Aber schon gab es neue Probleme. Wir waren scharf nach rechts abgebogen. Der Wind, der nun wieder gegen uns stand, frischte immer stärker auf. Schon bald mussten wir einsehen, dass Weiterfahren Kraftverschwendung gewesen wäre. Eine windgeschützte Bucht bot die Voraussetzungen, ein Feuer zu entzünden und Pizza zu backen.

In der Hoffnung, dass der Wind abflauen würde, warteten wir mit vollem Bauch den Abend ab. Der Vollmond sollte uns dann den Weg leuchten. Da der Wind tatsächlich etwas weniger wurde, ging es um acht Uhr abends weiter. Das Licht schwand, der Wind wurde, es war kaum zu glauben, wieder stärker. Es war Seitenwind, der den Zweier immer auf meine Seite kommen ließ. Ich machte Rundschläge und steigerte mich in eine Paddelwut. In zwei Stunden schafften wir 5 km, dann gaben wir wieder auf.

Als Lagerplatz musste ein Moosfleck unter niedrigen Tannenzweigen herhalten. Eine Zigarette, und dann in den Schlafsack! Der Wind pfiff durch die Wipfel, und ich spürte die Einsamkeit. Ich schlief in der Hoffnung ein, daß der Wind es mir gleich tun würde.



18. August (15. Tag)

In der Morgendämmerung weckte mich Gerhard: "Der Wind ist weg!" Ein verregneter Tag erwachte. Kein Frühstück, nur Sachen packen und los!

Auch der Wind erwachte aufs Neue, aber heute blies er uns in den Rücken. Wir flogen über den See. Am Ende des Sees legten wir eine Frühstückspause ein und gelangten von dort aus über einen 8 km langen Fluss zum Kepimits Lake. Einige Schnellen und zwei Forellen verkürzten uns die Zeit.

Am Seeufer stand eine halbverfallene Hütte, die erbaut worden war, um den Arbeitern Unterschlupf zu gewähren, die einst die Hochspannungsleitung quer durch Labrador errichtet hatten. Da es stark regnete, entschlossen wir uns, einzukehren.

Da es bald aufhörte zu regnen, fuhr ich mit meiner "DKV-Gaby" angeln. Auf dem Rückweg brach die Abendsonne durch die Wolken und färbte den Rand der sich zurückziehenden Wolkenfront rot. Ein wunderbares Farbenspiel! Laut singend und glücklich paddelte ich Richtung Schlafsack.



19. August (16. Tag)

Morgens Bodenfrost, alles lag im Nebel. Zum Frühstück gab es eine Forelle mit gebratenen Haferflocken für jeden. Draußen machte sich die Sonne am Nebel zu schaffen. Um 8.30 Uhr legten wir ab und konnten beobachten, wie sie auch die letzten Nebelfetzen fraß. Nach kurzer Weile gelangten wir zum Ausfluss des Sees, der sich als kräftiger Rapid entpuppte. Dann überschlugen sich die Ereignisse. Gerhard und Manfred kenterten zum zweiten Mal, aber diesmal sah es böser aus. Der Rapid war fast einen Kilometer lang, und sie hatten es geschafft, ganz oben zu kentern. Der Verlust von wichtigen Ausrüstungsgegenständen wäre eine mittlere Katastrophe gewesen. Erst im ruhigen Wasser, 800 m weiter, bekamen wir das Boot mit vereinten Kräften aus dem Fluß. Zu allem Überfluss biss während der Rettungsaktion ein Fisch an. Da ich mich ihm nicht widmen konnte, entwischte er mir. Meine Mitreisenden sahen recht unerfreulich aus, sie hatten sich blaue Flecken zugezogen und zitterten vor Kälte. Die aufsteigende Sonne schaffte Abhilfe. Gepäck war, was weiß Gott keine Selbstverständlichkeit ist, nicht verloren gegangen.

Dann, beim Reinschieben, ereignete sich die zweite Panne. Ein scharfer Stein schnitt den Indio auf einer Länge von 10 cm auf. Flicken war angesagt!

Nun ging es zügig mit guter Strömung durch Rapids in Richtung Atikonak-See. In einer der Stromschnellen umtrugen Manfred und Gerhard einen Teil des Gepäcks. Auf einem Mast der schon erwähnten Hochspannungsleitung beobachteten wir einen Adlerhorst. Wir erreichten den Atikonak, den Gerhard "Anticognac-See" taufte und der sich uns still wie ein Spiegel präsentierte.

Schlafen unter freiem Himmel.



20. August (17. Tag)

Windstille und Traumwetter, das war unsere Chance, den riesigen See zu überqueren. Wir "hauten rein, was das Zeug hielt", und schafften 35 km in 9 Stunden. Um den Ernstfall zu üben, versuchte ich bei Ankunft am Lagerplatz eine Eskimorolle mit vollem Gepäck zu drehen. Es gelang mir nur leidlich. Ich beschloss daraufhin, lieber nicht zu kentern.

Ausgebrannt, aber doch zufrieden, bauten wir das Lager auf. Es waren immer wieder die gleichen Arbeiten zu erledigen: Aufbauarbeiten, Holz machen, Feuer entzünden, Fische ausnehmen, Ausrüstung überholen, kochen (mit viel Phantasie), ab und zu spülen und Tagebuch schreiben.

Zwölf Stunden harter Arbeit lagen hinter uns, nicht mal den wunderbaren Sonnenuntergang konnten wir genießen. Dafür hatten wir den See fast geschafft. Da wir draußen schliefen, summten uns die Moskitos die ganze Nacht ihr grausames Lied.

Unserem Zeitplan paddelten wir drei Tage hinterher.



21. August (18. Tag)

Mit Mühe schafften wir die restlichen sieben Kilometer. Es war wieder windig geworden. Gut, dass wir gestern so viel geschafft hatten!

Die größten Strapazen standen uns jedoch noch bevor. Wir mussten einen namenlosen Zufluss des Sees hinauf. Rapid an Rapid! Absolute Knochenarbeit bis zum Einsatz der letzten Kräfte. Wir schalteten das Gehirn ab und malochten. Raus aus dem Boot, rein ins Boot. Mehr gestolpert als gegangen. Klitschnass kämpften wir uns den Bach weiter hinauf. Ein Schnitt von 700 m in der Stunde war das Ergebnis. Auch die Mücken, die wir oft einatmeten oder die uns in die Ohren krochen, taten ihr Äußerstes, um keine Freude aufkommen zu lassen. Zum Glück hatten wenigstens die Black Flies, im Gegensatz zu ihren Freunden, den Moskitos, die hervorragende Angewohnheit, gegen acht Uhr ins Bett zu gehen. Kurz nach dem Überheben eines Felsriegels ließen wir uns zur Nacht nieder.

Während eines abendlichen Ausflugs verirrte sich Manfred im Busch. Mit etwas Glück fand er wieder zum Lager. Für Lagerfeuerromantik blieb wenig Zeit. Der Kaffee wurde durchs Moskitonetz geschlürft.



22. August (19. Tag)

Die ganze Nacht hatte es geregnet. Manfred, der draußen geschlafen hatte, wachte gegen sechs Uhr früh in einer Pfütze auf und kam dann zu uns ins Zelt.

Heute galt es die ersten Portagen zu bewältigen. Dazu bauten wir den Indio ab, das Faltboot transportierten wir aufgebaut.

Dann ging es los. Zehn Stunden lang quälten wir uns durch den Busch. Tiefgebückt, damit die Last gleichmäßig auf Rücken und Tragegurte verteilt würde, stolperten wir durch den Wald. 30 bis 50 kg Gepäck pro Person und Weg mussten bewältigt werden. Jeder musste jede Portage zweimal hin und zurück, und dann noch einmal hin gehen. Manchmal war das Unterholz dicht und der Boden sumpfig. Ohne die Kompasse hätten wir keine Chance gehabt, in kurzen Abständen mussten wir stehenbleiben, um neu zu peilen. Jeder kontrollierte den anderen. Zusätzlich markierten wir unseren Weg mit den Füßen in der Rentierflechte. Die Mücken waren schlimm wie nie zuvor. Während wir einen zwischen zwei Portagen liegenden See durchpaddelten, begegnete uns ein Elchpaar, das uns neugierig am Ufer begleitete.

Trotz der Schufterei waren wir nur vier Kilometer weitergekommen. Neben der Anstrengung war die Zeit unsere größte Sorge. Am 21.9. würde automatisch eine Suchaktion eingeleitet!

Ich schlief am Feuer und bemerkte, wie sich der Rauhreif über das Unterholz legte.



23. August (20. Tag)

Ein Tag, der dem vorhergehenden "das Wasser reichen konnte". Weiter wurde portagiert, heute bis zum Pecheur River. Es gab Orientierungsprobleme, die aber mit verschiedenen Tricks immer wieder gemeistert wurden. Belohnung: 6 km.



24. August (21. Tag)

Das Leben zehrte sehr an den Kräften, aber es war schön. Ich war ein bisschen stolz auf mich, oder besser auf uns. Ich glaube, wir waren ein gutes Team. Obwohl wir sehr unterschiedlicher Natur waren, trieb uns unser gemeinsames Ziel zu guter Zusammenarbeit. Nur gemeinsam konnten wir es schaffen!

Wieder hieß es Tragen. Wir fingen sehr früh an, um abends etwas länger Zeit (Licht) zu haben. Der Pecheur River führte zuwenig Wasser, also ging es an ihm entlang. Um uns den Weg zu erleichtern, liefen wir auf Rentierpfaden. Diese haben jedoch die unangenehme Eigenschaft, dauernd aufzuhören und dann irgendwo anders wieder anzufangen. So kam es, dass ich mich mit Gaby und Manfred verirrte. Wir liefen einen vollständigen Kreis. Völlig entkräftet gelangten wir bei Gerhard an, der vorausgegangen war und schon auf uns wartete. Bevor es weiterging, musste er uns erst mal aufbauen. Durch unseren Umweg waren wir wohl fast zwei Kilometer gelaufen. Nun ging es zu Wasser auf dem Pecheur River weiter. Nach der Plackerei in den letzten Tagen erschien es uns wie ein Geschenk, wieder über Wasser zu gleiten. Wir paddelten durch eine märchenhafte Flusslandschaft, die die Phantasie anregte.

Die Zelte schlugen wir auf, als uns der Pecheur River ein letztes Mal die Durchfahrt versperrte. Gerhard inspizierte heute unsere Lebensmitteltonnen. Wir teilten die Lebensmittel auf und verpackten sie wochenweise. Meine Eintragung im Tagebuch: "Ungegrenzt essen können wir nicht, aber wir werden nicht verhungern. Es ist ein echtes Abenteuer, und wenn wir es geschafft haben, waren wir gut. Also hoffen wir, dass wir ein bisschen Glück haben!"



25. August (22. Tag)

Morgens gab es wie immer ordentlich Kohlehydrate (am Abend aßen wir fettigere Kost). Wir machten die letzte Portage und fuhren dann weiter Richtung Romaine River (Rivière Romaine). Der Pecheur River war mit der Rur in Monschau bei sehr wenig Wasser zu vergleichen, Gift für mein überladenes Faltboot. Ständig stiegen wir aus und führten unsere Boote mit Hand. Es war kalt geworden und nieselte den ganzen Tag. Wer sich nicht bewegte, fing an zu frieren.

Dann gab es eine Überraschung. Da sich die Gänse in der Mauser befanden und daher schlecht fliegen konnten, gelang es uns tatsächlich, zwei von ihnen mit der Hand zu fangen. Keiner von uns brachte es so richtig übers Herz, sie umzubringen, denn wir waren gewohnt, unser Fleisch im Supermarkt zu kaufen. Schließlich schnitt ich einer den Kopf ab und ließ sie ausbluten. Die andere ließen wir wieder fliegen. So mancher Leser wird nun vielleicht schockiert sein, deswegen möchte ich an dieser Stelle aus meinem Tagebuch zitieren: "Das Töten in der Wildnis ist emotional anders gerahmt als das Töten in der Zivilisation. In der Zivilisation tötet man als Herrscher. Man tötet von oben und bekommt ein schlechtes Gewissen. In der Wildnis fühle ich mich als Teil des Ganzen. Wenn ich töte, bedeutet dies Leben für das Ganze. Das Ganze ist ein Kreislauf."

Wir erreichten den Romaine River, den wir gegen den Strom befahren mussten. Der Fluss führte viel Wasser, und die Schnellen waren wuchtig. Daher konnten wir oft nicht treideln, sondern mussten tragen.

Am Lagerfeuer verschlangen wir die Gans mit Knödeln und Blaubeersoße. Eigentlich ging es uns gut, aber der verdammte Zeitdruck machte uns zu schaffen! Unser Zeitpolster von zehn Tagen hatten wir schon fast aufgebraucht.

In den letzten Tagen kam auch so etwas wie Freude auf zu Hause auf. Ein Bett, eine Dusche, etwas Warmes im Arm und mal wieder richtig faulenzen.



26. August (23. Tag)

Oft bis zum Bauch im Wasser, arbeiteten wir uns den Romaine River hinauf. Es regnete und die Temperaturen fielen unter 10 Grad. Eine nur 400 m lange Stromschnelle kostete uns über vier Stunden. Am Lagerfeuer fassten wir den Entschluss: "Wenn wir ein Flugzeug sehen, schießen wir Signalraketen ab, um uns rechtzeitig ausfliegen zu lassen. Wenn wir wider Erwarten auf Menschen treffen sollten, die die Wildnis vor uns wieder verlassen werden, so werden wir sie bitten, für uns einen Ausflug per Flugzeug zu organisieren. Bis zu diesem Tag werden wir unser Äußerstes geben, um es alleine zu schaffen."



27. August (24. Tag)

Nachts hatte es so gefroren, dass wir morgens erst mal die Schuhe am Feuer auftauen mussten. Wir befuhren die letzten Rapids, dann erreichten wir den Long Lake. Der strömende Regen drückte auf die Stimmung und weichte uns bis auf die Haut durch. Am Ende des 30 km langen Sees sollte eine Hütte liegen, auf die wir uns alle freuten. Leider war sie völlig zerfallen. Hier war schon lange keine Menschenseele mehr gewesen.

Abends ging ich mit nassen Kleidern in den Schlafsack, um sie wieder trocken zu bekommen.



28. August (25. Tag)

Meine Eintragungen am 28.8. morgens: "Seit zwei Tagen bin ich nicht mehr zum Schreiben gekommen. Mit Urlaub hat das nichts mehr zu tun, es ist zum Kampf geworden. Bis jetzt haben wir es alle unterdrückt, nicht ausgesprochen, aber wir stehen unter großem Zeitdruck. Eigentlich können wir es kaum noch schaffen, unseren Zeitplan einzuhalten. Das hat vier große Nachteile:

1) Es wird eine Suchaktion eingeleitet, und in Deutschland machen sich alle Sorgen. 2) Wir müssen hungern. 3) Wer unter Zeitdruck steht, ist unvorsichtig. 4) Der Winter könnte einbrechen."


Es ging weiter gegen den kleiner gewordenen Romaine River. Unterwegs beobachteten wir einen Biber, der mit seinem dicken Schwanz aufs Wasser schlug, dass es nur so knallte. Dann tauchte er ab. Gegen Mittag begann die zweite Portagenkette. Der Romaine River hatte sich zum Gebirgsbach verwandelt, als wir ihn verließen, um eine Wasserscheide zu überqueren. Auf der anderen Seite wartete der Little Mecatina, der "River of no return"! Es ging durch verbrannten Wald und später durch dichtes Unterholz. Gerhard hatte mit einem moralischen Tief zu kämpfen, aber nach dem Essen ging es ihm wieder besser.

Auszug aus meinem Tagebuch: "Gerne würde ich diesem Buch mehr Zeit widmen, leider komme ich fast nie dazu. Heute war ein wunderbarer Abend, und ich hatte sogar einmal 20 Minuten Zeit, ihn zu genießen. Die Natur hier ist hart, schön und grenzenlos. Es ist eine Welt der Gegensätze, Vieles ist in jede Richtung unendlich. Der Raum genau wie die Gefühle. Die Natur fordert alles, was wir geben können, aber sie kann auch wunderbare Dinge zurückgeben. Heute Abend zieht das Nordlicht über den schimmernden Sternenhimmel. Mich erinnert es an Suchscheinwerfer.

Heute haben wir 5 km geschafft, 500 müssen wir noch. 500 km in 19 Tagen?"



29. August (26. Tag)

Schon ein paar Stunden später tropfte wieder Regen aufs Zelt. Um sechs Uhr raus aus den Schlafsäcken. Es war windig und ca. 8 Grad kalt. Ich zog fast alles an, was ich in meinem Kleidersack fand. Wieder gegen die Strömung! Obwohl ich versuchte, trocken zu bleiben, rutschte ich ab und stand bis zu den Hüften im Wasser. Stinksauer arbeitete ich mich wieder warm. Am Himmel wechselte sich die Sonne mit Hagelschauern ab.

Durch die Regenfälle in den letzten Tagen blieb uns eine 800 m lange Portage erspart. Ein kleiner Bach war zumindest so tief geworden, dass wir die Boote hinter uns her ziehen konnten. Ein Geschenk! Wenn alles klappte, würden wir morgen den Mecatina sehen. Obwohl wir dieses Ziel ursprünglich neun Tage früher erreichen wollten, ging es uns gut.



30. August (27. Tag)

Nachdem jeder zwei Pfannkuchen verschlungen hatte und Gerhard seine Hose genäht hatte, ging es weiter. Dieses Mal war Gaby in ihren Transportsack gepackt worden. Zwei lange Portagen, unterbrochen durch einen See, standen uns bevor. Den See überwanden wir alle vier (auch Gaby) im Indio.

Sturm und Schneeregen bei Temperaturen um null Grad, und das im August! Bis auf die Haut nass und frierend lief ich eine gute halbe Stunde wie ein Tiger im Käfig hin und her. Wenigstens wurde mir nicht noch kälter. Wir warteten auf Gerhard, der, während wir einen Teil der Ausrüstung übergesetzt hatten, den Rest nachholte. Ich glaube, wir alle erlebten unseren bisher größten Tiefpunkt. Fragen wie "Was soll der ganze Quatsch eigentlich?" gingen mir durch den Kopf.

Während Manfred das Lager aufbaute, machte ich mit Gerhard eine weitere Portage. Es ging durch den Sumpf, oft sanken wir bis zu den Knien ein. Wir versuchten, ein Schneehuhn zu erschlagen, aber dank seiner Flügel entwischte es uns. Eine Orientierung war, wie bei allen Portagen, nur mit dem Kompass möglich. Tatsächlich erreichten wir den Little Mecatina!

Wieder zum Lager zurückgekehrt, mussten wir feststellen, dass (am heutigen Sonnabend) die Lebensmittel der laufenden Woche fast aufgebraucht waren. Ich schlürfte nur ein dünnes Süppchen. Dann zog ich mich, als erster und völlig entkräftet, ins Zelt zurück. Mal wieder schlief ich in nassen Kleidern, um sie zu trocknen. In der Nacht hörte ich die gefrorenen Regentropfen am Zelt hinunterrutschen.



31. August (28. Tag)

Morgens schmiss Gerhard sein Moskitonetz ins Feuer. "Das Wetter überlebt keine Mücke!" war sein Kommentar. Die Moskitos jedoch erweisen sich als widerstandsfähige Plagegeister.

Heute schleppten wir den zweiten Teil der Ausrüstung zum Mecatina. Gerhard erwischte einen Fasan mit seinem Paddel. Es war ein ziemlich abgehungerter Bursche, den wir als Suppenbeilage willkommen hießen. Manfred verlor seine Isomatte im Busch. Ein schwerer Verlust!

Dann endlich, am frühen Nachmittag, war es soweit, wir schwammen auf dem Mecatina!


Teil 3: Auf dem Little Mecatina

31. August (28. Tag)

Der Mecatina war seenartig verbreitert und flach. Aber bald verengte er sich auf wenige Meter zu einem Rapid. Ein eiskalter Wind mit Schneeregen blies uns in den Rücken. Ich paddelte mit Paddelhandschuhen. Der erste Rapid war nach Besichtigung schön zu befahren. Die folgenden jedoch zwangen uns wieder, die Boote mit der Hand zu führen. Ich war sauer, denn eigentlich hatte ich mit einem wasserreichen Fluss gerechnet. Mein Faltboot wurde mal wieder aufs Äußerste strapaziert. Hoffentlich würde es diese Strapazen bis zum Ende durchhalten.

Am Abend war die Stimmung trotz aller Sorgen gut. Immerhin hatten wir den Mecatina erreicht. Aus diesem Grunde überraschte uns Manfred mit drei Tafeln Schokolade. Später in der Nacht blinzelten uns sogar die Sterne zu.



1. September (29. Tag)

Das erste Mal seit vielen Tagen lachte die Sonne. Mittags nutzten wir das Wetter, um mein Boot zu trocknen und neue Kielstreifen aufzukleben. Die Rapids waren noch steiniger geworden. Wir arbeiteten von morgens bis abends und schafften nur 15 km.

300 km abwärts lag der Lac Fourmont (Fourmont Lake). Dort waren auf der Karte einige Hütten eingezeichnet. Wenn wir ihn bis zum Wochenende erreichen könnten, bestünde die Möglichkeit, auf eingeflogene Angler zu treffen. 390 km in sechs Tagen? Wir wollten es schaffen. Aber es sollte mal wieder ganz anders kommen!



2. September (30. Tag)

Um fünf Uhr standen wir auf, und bis sechs Uhr blieben wir auf dem Wasser. Gerhard und Manfred erwischten mal wieder eine Gans. Sie verfolgten sie so lange, bis sie zu müde war, einem gezielten Paddelwurf auszuweichen.

Die WW-Schwierigkeiten nahmen immer mehr zu. Andauernd aussteigen, anschauen, fahren, treideln oder sogar umtragen. Wenigstens war es sonnig, wenn auch nur acht Grad warm. Das Wasser war stark verblockt und die Abfälle erreichten eine Höhe von bis zu drei Metern (WW 4-5). Für unsere Boote eine Nummer zu groß! Während wir portagierten, sahen wir einen völlig verbeulten Alu-Canadier. Was er wohl erzählen könnte?

Bei schwindendem Licht erfreuten wir uns der Gans mit Knödeln und Blaubeersoße.

Der Tag war hart und wieder waren wir kaum vorangekommen (12 km). Auszug aus meinen Tagebüchern: "Wir können es zeitlich nicht mehr schaffen. Wir müssen jemanden treffen. Wir müssen uns ausfliegen lassen."



3./4. September (31./32. Tag)

Nach dem ausgiebigen Abendmahl gestern Abend sah unser Frühstück heute karg aus. Wir mussten sparen! Mit knurrenden Mägen stiegen wir in die Boote. Uns allen schmerzten die Hände, da sie solche Belastungen nicht gewohnt waren. Sie rissen ein oder platzten einfach auf.

Wir beschlossen, in den Canon, dem schwersten uns noch bevorstehenden Teilstück, auf keinen Fall mehr einzufahren, denn nach unseren Berechnungen würde die Suchaktion genau zu der Zeit ausgelöst, zu der wir uns im Canon befinden würden. In der Schlucht jedoch konnten wir nicht damit rechnen, gefunden oder gar geborgen zu werden.

Zwei wunderbare Tage erwarteten uns. Nachts Frost und Sternenhimmel mit Nordlicht. Am Morgen dicke Nebelschwaden und steifgefrorene Schuhe. Am Tag Sonne, Windstille und Temperaturen bis 20 Grad. Der Mecatina hatte an Gefälle verloren und führte zunehmend mehr Wasser. Hin und wieder wurde die Stille von wuchtigen Rapids unterbrochen. Einer von ihnen bedeutete für Gerhard und Manfred eine böse Abkühlung. Sie konnten einem Stein nicht rechtzeitig ausweichen, trieben quer davor und wurden aus dem Boot katapultiert. Gerhard kam rechtzeitig aus dem Wasser. Manfred und der Indio aber schwammen einen Abfall hinunter. Ausrüstung ging, dank guter Verschnürung, nicht verloren. Manfred aber musste mit einigen blauen Flecken vorliebnehmen.

Wieder mal schmückten zwei Gänse unsere Boote. Nach unserer Abmagerungskur war das ein willkommener Festschmaus. Dafür hatten wir schon lange keinen Fisch mehr gefangen.

Einmal hörten wir in der Ferne ein Flugzeug brummen, sofort riss ich meinen Signalstift raus. Leider kam es nicht in Sichtweite. Noch Stunden danach hatte ich Halluzinationen und hörte überall Flugzeuge. Sonst ging es recht ruhig daher. Oft benebelte mich eine völlige Selbstversunkenheit.

Auszug aus meinem Tagebuch: "Oft denke ich an zu Hause. Ich freue mich wirklich, bald (hoffentlich) wieder nach Hause zu kommen."



5. September (33. Tag)

Zitat Tagebuch: "Bis auf dass wir zwei Gänse gefangen und ein Flugzeug gehört haben, ein ereignisloser Tag. Schönes Wetter, träge fließendes Wasser und manchmal einfache Stromschnellen. Langweilig? Nein, es ist tiefe Selbstversunkenheit. Die Wellen spielen am Boot. Der Wind rauscht durch die Baumwipfel, spielt mit den Haaren oder pfeift mir ein Lied auf dem Tragegestell, das ich hinten aufs Boot geschnallt habe. Dazu das Geräusch des Paddels: 'Patsch, patsch, patsch.' Hin und wieder zwitschert ein Vogel, oder es rauscht eine Stromschnelle. Oft fange ich laut an zu singen. Das tut mir gut, bringt mich auf gute Gedanken und lenkt mich ab, von meinen Sorgen und Hoffnungen. So geht es Stunde um Stunde."



6. September (34. Tag)

Zitat Tagebuch: "Immer wieder sahen wir Flugzeuge. Einmal schossen wir Signalraketen ab, die aber nicht gesehen wurden. In diesen Augenblicken ist unsere Erlösung nah und doch so weit. Es wäre schön zu wissen, dass wir bald von einem Flugzeug abgeholt werden würden. Die Tage sind weiterhin hart. Wenn es hell wird, raus aus den Schlafsäcken. Jeder Tag ein Anderer zuerst, der Feuer macht und Wasser aufsetzt. Zwei Gänse haben wir gefangen, und, wer hätte das gedacht, nach so langer Pause auch mal wieder einen Hecht."



7. September (35. Tag)

Morgens stärkten wir uns mit Müsli, das mit Milchpulver und Wasser angerührt wird. Dann ging es weiter. Bald gelangten wir in einen unbefahrbaren Rapid. Manfred und Gerhard treidelten, ich musste tragen. Währenddessen hatte ich eine einzigartige Begegnung, zu der folgende Zeilen in meinem Tagebuch stehen: "Während der Umtragearbeiten zeigte Manfred in eine Richtung, die ich nicht einsehen konnte, scheinbar kam irgendein Tier hinter einem Steinwall, gegen den Wind, genau auf mich zu. Plötzlich tauchte ein Wolf auf. Mit gesenkten Augen trottete er weiter auf mich zu. Dann, 3 m vor mir, bemerkte er mich. Ich stand da wie versteinert. Mit seinen hellblauen Augen starrte er mir für eine Sekunde in die meinen. Ganz ruhig, ohne seine Überraschung preiszugeben, schaute er mir wild in die Augen. Dann drehte er sich schnell, aber nicht hastig um und verschwand nach hinten ins Unterholz."

Daraufhin legten wir erst mal Mittagspause ein und trockneten unsere Kleider am Feuer. Dann, wie jeden Tag, weiter bis zum Abend!



8. September (36. Tag)

Wir ließen den Tag ruhig beginnen. Kartenstudium, persönliche Toilette, Blaubeeren sammeln und Lagebesprechung hielten uns noch eine Weile zurück.

Der Mecatina aber hatte einiges zu bieten, um uns wach werden zu lassen. Der Fluss verfügte inzwischen über eine stattliche Wassermenge. Die Stromschnellen boten Wasserwucht und waren nicht zu unterschätzen. Eine Stelle, die von Manfred und Gerhard getreidelt wurde, unterschätzte ich. Ich muss wohl gestehen, dass mein Können in starker Weise von meinem Schutzengel unterstützt wurde. An einer anderen Stelle blieb Gerhard nichts anderes mehr übrig, als den Sprung vom Boot ins kühle Nass zu wagen, um ein Quertreiben des Kanus zu verhindern. Er gelangte mehr schwimmend als gehend wieder zum Boot, das Manfred inzwischen alleine ins Kehrwasser gesteuert hatte. Um trocken zu werden, entzündeten wir zur Mittagspause ein großes Feuer.

Danach paddelten wir mit geringen Schwierigkeiten, jedoch mit guter Strömung weiter.



9. September (37. Tag)

In gewohnter Weise folgten wir dem Strom. Wir passierten eine kleine Wetterstation. Hier wurden meteorologische Daten aufgenommen und nach Montreal gefunkt. Wir nutzten die Chance, eine Notnachricht zu hinterlassen.

Dann geschah es! Ein Tiefflieger tauchte auf. Es war eine Militärmaschine, sie machte einen Höllenlärm und flog ca. 80 m tief. Sie flog so tief, dass es unmöglich war, rechtzeitig eine Rakete abzuschießen. Eine Viertelstunde später kam ein zweites Flugzeug, dieses Mal waren wir besser vorbereitet. Gerhard schoss als erster. Die Maschine flog einen Kreis, um uns ein zweites Mal zu überfliegen. Anscheinend waren wir gesehen worden! Dieses Mal schoss ich. Mit gemischten Gefühlen sahen wir uns an. Unser Urlaub würde nun in kürzester Zeit vorbei sein, und wir konnten davon ausgehen, eine Stange Geld loszuwerden. Das Kampfflugzeug überflog uns noch einige Male, wahrscheinlich, um unsere Situation besser einschätzen zu können. Wir paddelten kräftig, um zu demonstrieren, daß keiner verletzt war. Dann wurde es wieder still. Mir war, als hätte ich alles nur geträumt.

Bald schlugen wir unser Lager auf und warteten gespannt, was passieren würde. Kurz nachdem es dunkel geworden war, drang ein entferntes Dröhnen in meine Ohren. Mit gezücktem Signalstift sprang ich auf. Ich entdeckte zwei Lichtkegel, die das verregnete Ufer absuchten. Mit zwei Leuchtsignalen gaben wir uns klar zu erkennen. Schon bald suchte ein kanadischer Hubschrauber in unserer Nähe erfolglos eine Landemöglichkeit. Bald seilte sich ein Mann aus dem in der Luft stehenden Hubschrauber ab. Die Rotorblätter zischten knapp an den Baumwipfeln vorbei. Ein Höllenlärm und ein Sturm, der unsere Boote wegfliegen ließ, erzeugten eine unheimliche Szenerie. Keiner von uns hatte damit gerechnet, dass etwas Fliegendes kommt, das nicht auf dem Wasser landen kann! Wie wir erfuhren, bestand keine Möglichkeit, uns mit "Sack und Pack" auszufliegen. Sie waren nur gekommen, um nach eventuellen Verletzten zu schauen. Morgen früh würde ein zweiter Hubschrauber kommen, um uns rauszuholen.

Sekunden später war es wieder still. Ich fühlte mich schlecht. Wir packten alle Kostbarkeiten aus, die wir noch besaßen, und schlugen uns die Bäuche voll.



10. September (38. Tag)

Ich fand, es war ein gutes, aber auch trauriges Ende. Um 11 Uhr wurden wir abgeholt und zum 300 km entfernten Gose Bay geflogen. Beeindruckt betrachteten wir Labrador von oben. Sich zu Fuß durchzuschlagen, wäre unmöglich gewesen.

Wir hatten das kleinere Übel erwischt! Wäre eine Suchaktion eingeleitet worden, hätte man uns erst mal finden müssen. Empfangen wurden wir von Soldaten, die in Kanada den Tiefflug trainieren. Wir wurden herzlich aufgenommen. Jeder Wunsch wurde uns von den Augen abgelesen. Auch die Besatzung des Flugzeuges, das uns gesichtet hatte, war deutscher Herkunft gewesen.


Teil 4: Schlussbemerkungen

Von ca. 950 km hatten wir 700 km geschafft. Sechs kg hatte ich abgenommen. Zehn Tage später jedoch war ich bereits wieder neun kg schwerer.

Ungewollterweise gerieten wir sogar in Labradors lokale Presse und in den Rundfunk.

Oft wurden wir gefragt, ob wir es noch einmal tun würden und worin die Motivation bestand. Die erste Frage konnten Gerhard und ich mit einem klaren "Ja" beantworten. Bei der zweiten war die Beantwortung schon etwas schwieriger. Gerhard sagt: "Für mich ist die Natur eine Herausforderung, die mir ihre Grenzen zeigt. Außerdem reizt mich die Landschaft." Ich möchte die Frage an dieser Stelle nicht beantworten.

Wir verbrachten noch einige Tage in einer Blockhütte. Dann ging es in abenteuerlichem Flug mit einer defekten Propellermaschine zum nächstgrößeren Flughafen. Von hier aus düsten wir über Montreal nach Hause. Wieder zu Hause angekommen, bemerkte ich die tiefe Ruhe, die noch in mir lag. Doch ich wusste, dass mich das Alltagsleben bald wieder einholen würde. Jedoch denke ich, dass ich den Dingen etwas besser bewaffnet als vorher gegenüberstehe.

Zum Schluss sei mir folgende Bemerkung erlaubt: Wer gerne einen Wildnistrip in Labrador machen möchte, sollte sich darüber im Klaren sein, dass er hier total auf sich alleine gestellt ist. In Notfällen ist mit schneller Hilfe nicht zu rechnen!

PS.: Über Kontakt zu Menschen, die ihre Freizeit mit ähnlichen Dingen verbringen, würden wir uns freuen.



Zur besseren Einordnung der Expedition sei gesagt, dass sie vermutlich die Faltboot-Erstbefahrung darstellt. Die Paddelpremiere auf dem Little Mecatina lag erst 13 Jahre zurück und wurde mit PE-Kajaks durchgeführt! Die Seite der "Gütersloher Faltbootgilde" http://www.faltbootgilde.de/index.php?option=com_content&task=view&id=113&Itemid=89 schreibt dazu:

1973: "Ein langer Traum wurde wahr. Eine Kajak-Expedition nach Labrador (Kanada) zum Little Mecatina. Mit teilbaren Polyester-Kajaks, Kleinkaliber- und Schrotgewehr, mit Angel und Zelt, ohne Luftmatratze und Kocher, die Ausrüstung auf das Minimalste zusammengestrichen, so wurden die 2 GFG-Mitglieder mit dem Wasserflugzeug in der Wildnis abgesetzt. In der Zeit vom 13.8.- 6.9.1973 wurde der lange Traum in die Wirklichkeit umgesetzt. Fritz Gottenströter und Rolf Theiß unternahmen dieses Abenteuer, das als Erstbefahrung in die Annalen der GFG eingehen sollte. Einsam in der Wildnis, Leben von dem, was die Wildnis bietet, und mit einer körperlichen und sportlichen Leistung, die seinesgleichen suchte. Ein derartige Kanu-Tour hatten bis dahin nur wenige Kanuten gewagt!!"



2003 haben 5 Amerikaner aus USA und Kanada einen Teil unserer Tour wiederholt. Auch das letzte Stück, welches wir aus Zeitgründen nicht fahren konnten, wurde von dieser Gruppe gefahren: http://www.myccr.com/PDF%20files/Mecatina%20-%20Tom%20McCloud.pdf



Die Bilder


Artikel in Paddelzeitschriften

Siehe auch


  • Engel, Elmar: Das Letzte an Wildnis. Abenteuer einer Flußfahrt in Labrador / Kanada. "Kanu-Sport" 1/1982, S. 3-6 und S. 19-21 (Auf dem Day oder Joir River, einem Nebenfluß des Petit Mecatina.)


Danksagung

Der Urtext dieses Berichtes steht auf der Seite http://www.freie-kanu-sportler.de/daten/labrador.pdf .

Herzlichen Dank an den Autor Dr. Hendrik Schloemann, Kapstadt, Email: rems[KLAMMERAFFE]inds-ct.co.za, und an Gerhard Raabe vom Verein Freie Kanusportler e.V. Schauenburg, auf dessen Seite der Bericht verlinkt ist, für die Erlaubnis zur Veröffentlichung im Faltbootwiki.


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