Zum 95. Geburtstag des Faltbootes (Schimandl 2000)

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Zum 95. Geburtstag des Faltbootes

Von Ferdinand Schimandl, Altenburg/Thüringen


Seit 50 Jahren ist das Faltboot auf unzähligen Gewässern und durch viele Länder mein treuer Weggefährte. Es ist üblich, am Ende einer Zeitepoche Rückschau zu halten. Auch die Faltboote erinnern sich, sie haben mir einiges aus ihrem Leben im 20. Jahrhundert erzählt:

Mit 95 sind wir doch schon eine recht alte Generation. Daher ist es für uns gar nicht so einfach, Einzelheiten aus unserer Kindheit wachzurufen. Am 30. Mai 1905 ließ uns der Architekt Alfred Heurich das Licht der Welt erblicken. [1] Ob er wohl damals geahnt hat, dass wir, die Faltboote, innerhalb weniger Jahrzehnte einen ganzen Kontinent erobern würden?

Mehrere Kanuten-Generationen waren und sind mit uns und unseren Nachkommen auf allen erreichbaren Gewässern der Welt unterwegs. Dabei haben wir ihnen zu erholsamen, aber auch sportlichen Stunden und Tagen verholfen.


Hadernkahn und Schichtenhaut

Doch zurück zu unseren Kinderjahren: In der Zeit, als wir noch Windeln brauchten, nannte man uns in unserem Geburtsland Bayern einfach "Hadernkahn". Unser Knochenbau war im Prinzip bei unserer Geburt schon so, wie er auch heute noch ist. Noch nicht besonders stabil, doch für Flussfahrten schon ganz brauchbar . Dagegen war unsere Haut, wie bei kleinen Kindern üblich, noch recht empfindlich.

Wir mussten noch recht oft trockengelegt werden, da wir, wie es diesem Alter entspricht, nicht ganz wasserdicht waren. Trotz all dieser Schwächen tummelten wir uns aber schon recht fleißig auf unseren bayerischen Heimatgewässern.

Später, so zwischen 20 und 30, in der Blütezeit unserer Jahre, da waren wir nicht nur schmuck anzusehen, nein, auch unsere Qualitäten ließen nichts zu wünschen übrig. Verschiedene Kleidungsstücke (bis 7-Schichten-Haut), wie es der jungen Generation ansteht, gaben uns ein faltenloses und gepflegtes Aussehen. Allerdings verbrauchten wir in diesen Jahren eine ganze Menge an Pflege- und Schönheitsmitteln.


Die Eroberung der Alpen und des Olymps

Hocherfreut und mit Stolz denken wir an die 20er- und 30er-Jahre, als wir, so nach und nach, die Alpengewässer eroberten. Höchste Schwierigkeitsgrade, wie die Erstbefahrung der Salzachöfen mit dem Wiener Sportsmann Anderle im Herbst 1931, die Befahrungen des Euphrat und Amazonas mit Herbert Rittlinger, Kapitän Romers Ozeanüberquerung und die Erstbefahrungen noch vieler anderer Gewässer, waren die Krönung unseres Lebens.

Heute noch denken wir gerne daran, wie wir uns wassertriefend freuten, als am 30. Juli 1927 dem Österreicher Pawlata, mit einem von uns, die erste Eskimorolle gelang.

Am 16. Mai 1934 wurden wir von den Delegierten zum Olympischen Kongress in Athen olympiareif gesprochen. 1936 waren wir dann erstmals bei Olympischen Spielen zu sehen. Beim ersten internationalen Slalom-Wettkampf im Kajak auf der Zwickauer Mulde konnten wir im Mai 1937 unsere Fähigkeiten im Wildwasser wettkampfmäßig unter Beweis stellen.


Trennung in Ost und West

Nach Ausbruch des Krieges im Jahre 1939 wurden die meisten von uns in Kellern und Bodenräumen abgestellt. Viele von uns beendeten ihr Dasein in den Trümmern der schrecklichen Bombennächte.

Nach dem Kriegsende fanden sich dann schon bald die Ubriggebliebenen auf den altbekannten Gewässern ein. Wir waren inzwischen stattliche Fünfziger. Die Trennung unserer Besitzer in "Ost- und Westbewohner", als Folge des Krieges, machte sich auch bei unseren Nachkommen bemerkbar. In unserem Geburtsort Rosenheim (Klepper) entwickelten sie sich recht bodenständig, wie es sich eben für echte Bayern geziemt. Verbessertes Innenleben und neue Kleidung machten sie zu beliebten Begleitern in viele neue Gewässer und Länder. Sie wurden zu echten "Wirtschaftswunderkindern".

Unsere Nachkommen im Osten gingen, wie so vieles, einen anderen Weg. Im Zeitalter der Kunststoffe fertigte man ihnen ein pflegeleichtes, gut sitzendes, schürf- und reißfestes Kleid (5-Schichten-PVC-Haut). Findige Faltbootbesitzer im Osten, die ein Polyesterboot besitzen wollten, versuchten sich im Bootsbau und haben so manchen robusten Enkel in die Welt gesetzt.

Unsere Enkel und Urenkel, die Kunststoffboote, stramm, stabil und in allen Farben schillernd, sind wie alle jungen Leute kühne Eroberer und haben sich auch unter den schwierigsten Bedingungen in aller Welt bewährt. Bei all ihrem Tatendrang sollten sie aber als dankbare Kinder nicht vergessen, dass unsere Generation ihnen den Weg in die schönen Gefilde des Wassers gebahnt hat. Wurden wir Faltboote noch oft auf holprigen Wegen per Bootswagen zum Bahnhof geschoben, um mit der Eisenbahn an die Gewässer zu gelangen, so reisen heute unsere Urenkel auf dem Autodach zu den Flüssen und Seen.


Familienfeiern

Seit 1934 feiern wir alljährlich am Dunajec in Polen eines unserer großen Familienfeste. Bis 1.200 Exemplare unserer Gattung, vom alten Veteranen aus den 20er Jahren bis zum jüngsten Baby aus der Polyesterfamilie, haben sich dort getroffen. So mancher aus unserer Sippe hat auf dem Dunajec sein braves Faltbootleben ausgehaucht. Auch bei der TID sind wir von den Großeltern bis zum Urenkel immer mit dabei.

Übrigens waren es gerade diese beiden Veranstaltungen, bei denen unsere Sippe die durch den "Eisernen Vorhang" getrennten Familienbande kurzzeitig wieder anknüpfen konnte.

Nach dem Fall der Mauer waren wir es, die erste sportliche Begegnungen zwischen Ost und West auf ehemaligen Grenzgewässern ermöglichten. Darauf sind wir besonders stolz.

Die großen Wettkämpfe der Olympiaden und Weltmeisterschaften sind für uns Faltboote längst Vergangenheit. Dort gehören solch alte Veteranen, wie wir es sind, auch nicht mehr hin. Ausgestorben sind wir deshalb immer noch nicht. Nein, auf Grund unserer Fähigkeit, sich zum Zwecke des Transportes zu verkleinern, werden wir wohl auch in Zukunft zur Freude vieler Kanuten weiterleben. Wir sind Optimisten und hoffen, dass wir auch im neuen Jahrhundert noch recht lange auf den Gewässern dieser Welt zu finden sein werden.


Quelle

Dieser Artikel stammt von Ferdinand Schimandl, Altenburg, und erschien in der Zeitschrift "Kanu-Sport" 12/2000, S. 558 f. Der Text wurde unverändert aus der Zeitschrift übertragen und lediglich die Rechtschreibung durchgesehen. Die Gliederung entspricht dem Original.

Die dem originalen Zeitungsartikel beigefügten Texte von Alfred Heurich (1883-1967) und Edi Hans Pawlata (1900-1966) sind in dieser Fassung aus urheberrechtlichen Gründen nicht enthalten.

Vielen Dank an Ferdinand Schimandl für seine Genehmigung zur Veröffentlichung im Faltbootwiki.


Siehe auch


Anmerkungen

  1. "Signe Rink wußte so viel von den Leistungen der Eskimo in ihren kleinen Booten zu erzählen, und solch ein Wunderwerk, mit primitiven Mitteln gebaut, ein Eskimokajak, stand im ethnographischen Museum zu München als überzeugender Beweis, wie menschliche Intelligenz rohe Naturkräfte meistert. Ein prächtiges Vorbild für einen Sportmenschen. Aber der Transport blieb noch ein Hinderungsgrund. Die Zerlegbarkeit sollte ihn beseitigen. Der Billigkeit und Leichtigkeit wegen sollte Segeltuch seine Haut werden. Das war so befremdend für alle, denen man davon sprach, daß sie den Gedanken mit den Worten abtaten: 'Der hat einen Vogel!' und mit bedeutungsvollem Blick an die Stirne tupften. - Unbekümmert darum vertauschte der Wassermann im Winter 1904 sein elegantes Heim gegen eine nüchterne große Stube, die Raum bot für riesige Zeichnungen und spätere Werkarbeit. Auf langen Bahnen Packpapier fingen die Gedanken an, sichtbar in Erscheinung zu treten. Das Ersonnene, Errechnete wurde festgehalten. Der Erfinder stand ganz im Banne seiner Idee. Abends, nach seinem Hochschulstudium, trieb es ihn an sein Werk, so manche Nacht durch bis zum grauenden Morgen. Er rechnete, zeichnete, schreinerte, schlosserte, nähte, bis das im Geiste Erschaute in Wirklichkeit dastand. - Hatten wir uns bis dahin über alle möglichen Neuerungen der Technik unterhalten, so gab es von da ab nur noch ein Thema: die Durchführung des Faltbootgedankens. Und eines frühen Morgens im April 1905 mußte ich mit einigen Bekannten in den Isarauen oberhalb Münchens erscheinen, um dem ersten Bad des 'Zerlegbaren Segeltuchkajaks' beizuwohnen. In einem ruhigen Tümpel wurde das Boot eingesetzt und sein Erbauer bestieg es voll Zuversicht. Mit bänglichen Gefühlen sah ich zu. Aber - es stand auf dem Wasser, schwamm wie eine Ente und flitzte wie ein Pfeil dahin. Als es dann in die Strömung gebracht wurde, gehorchte es spielend dem Ruder und tauchte hüpfend auf und ab. Davon bekam es seinen Namen 'Delphin-Boot'. - Dann kam seine Probefahrt durch die Bogenhauser Traversen unterhalb Münchens. Denn es sollte ja gerade im Wogenschwall seine Stabilität zeigen. Das tat es auch und stand sicher im schäumenden Element. - Im darauffolgenden Mai hat dann der 'Luftikus' seine erste größere Probe bestanden. Damals sah die Isar noch nicht so aus wie heute, wo moderne Wasserbautechnik ihren Uebermut verschiedentlich eingedämmt hat. Sie gab sich noch wie sie war, ein lebendiges und trotziges Bergkind. Da wurden Verbesserungen nötig: Wellenbrecher und Wellenschutz. Ein neues Modell entstand. - In dieses durfte auch ich mich setzen. Ich überwand meine Scheu, krabbelte in das leichte Ding, setzte mich und - saß wie in einem nachgiebigen, gefälligen Schaukelstuhl. Sofort fühlte ich mich sicher! War das schön!! Die Wasserfläche dicht mir zur Seite quirlte ungeduldig vorbei, zog meine Wünsche lockend mit. - Die einfache Paddeltechnik, mir fremd, war im Nu verstanden; auch soweit es sich ums Steuern handelte, und dann gings los in den herrlichen Sommermorgen hinein." (Carolina Heurich (1885-1940): Wie das Kajak-Faltboot entstand. In: "Kanu-Sport" 16/1925 (Themenheft "20 Jahre Faltboot"), S. 414.)



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