V. Tatra-Ring 1972 (Meyner 1973)

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V. Tatra-Ring 1972


Fast 2000 km waren einige Teilnehmer mit dem Auto gefahren, als sie am Abend des 17. Juni mit vielen anderen die kleine Zeltstadt auf dem "Kanutenzeltplatz" in Liptovský Hradok an der Váh aufgebaut hatten. Am folgenden Sonntag ruhten sich viele von den Anstrengungen der Reise aus oder fuhren in die nahe Hohe Tatra , um sich als wandernde und kletternde Kanuten die Bergwelt des Hochgebirges zu erschließen. Nach der Eröffnung der Fahrt am abendlichen Lagerfeuer wurden bald die ersten Runden auf die zu erwartenden Kenterungen getrunken und persönliche Kontakte geknüpft. Bei wunderschönem Frühsommerwetter rollten dann am Montag die Fahrzeuge vom Platz. Dank der guten Vorbereitung durch die Organisatoren standen für die ca. 120 Sportlerinnen und Sportler während der gesamten Veranstaltung zwei Busse mit Bootsanhänger zur Verfügung. Damit wurden die zuweilen beträchtlichen Entfernungen, oft 100 - 120 km, den Flussstrecken bequem bewältigt, und man lernte nebenbei noch ein recht umfangreiches Gebiet der Slowakei kennen.

Das Teilnehmerfeld war in drei Gruppen aufgeteilt worden, so wurden verschiedene Strecken nicht zu sehr überlastet und Stauungen an besonderen Engstellen vermieden. Auf dem Programm des "Ringes" standen sechs Flüsse mit unterschiedlichem Charakter, die im Folgenden kurz beschrieben werden. Die Kilometrierung und Klassifizierung einschließlich der Gefälleangaben sind tschechoslowakischen Flussführer "Československé řeky - Kilometráz" entnommen.


Čierny Váh (Schwarze Waag)

Die Schwarze Waag wurde den ausländischen Gästen als erster Fluss zum Eingewöhnen und zur Selbsteinschätzung angeboten. Nicht zu Unrecht, denn viele unterspülte Sträucher und Bäume in den Kurven, des Öfteren auch breite Baumsperren führten zu einer erheblichen Zahl von Kenterungen. Am Schluss rangierte dann auch die Schwarze Waag an der Spitze der Kenterstatistik.

Mit der Holzbahn geht es von Liptovský Hradok auf einem einfachen offenen Rungenwaggon hinauf ins Tal der Schwarzen Waag bis zur Station Čierny Váh. In wenigen Jahren wird in diesem Tal eine Staumauer errichtet (Pumpspeicherwerk "vodná nádrž Čierny Váh"). Vielleicht gewinnt der Fremdenverkehr damit wieder ein neues Gebiet, doch ist es dann mit dem Verlust eines romantischen Waldflusses mit schneller Strömung und kristallklarem Wasser bezahlt worden.

Mit einem Gefälle von 4,0 ‰ (Zahmwasser B - Wildwasser I) fließt er durch hohen Baumbestand, umgeht in vielen Windungen manche Kiesbank und gelangt bald in das Mündungstal mit großen Weideflächen. Nach 11,6 km Fahrstrecke bildet er mit der von rechts kommenden Weißen Waag die Waag. Die Weiße Waag zu befahren, soll nicht ratsam sein, denn der kleinere Fluss hat viele Hindernisse und ist vom Wasserstand her auch nicht sehr sicher. Auf dem vereinigten Fluss angekommen, geht an diesem Tag die Fahrt weiter bis zu unserem Zeltplatz.


Váh (Waag)

Die Waag ist der längste Fluss der Slowakei. Seit Jahrzehnten ist er von der Mündung in die Donau bis in die Gebirge zu einer Kaskade von Stauseen ausgebaut worden. Der z. Z. oberste Stau bei Liptovský Mikuláš wird in allernächster Zeit fertiggestellt. Damit ist der Fluss mit seinem schönen, leichten Wildwasser auf eine Strecke von rund 20 km zusammengeschrumpft. Im weitausladenden Tal zwischen Niederer und Hoher Tatra bietet sich dem Befahrer ein breiter Fluss mit Schotterbänken, die mitunter ein aufmerksames Suchen der Fahrtrinne erfordern. ZW B - WW II bei 4 ‰ Gefälle sorgen für eine interessante Abfahrt. Landschaftlich liegt der Fluss sehr reizvoll. Unmittelbar am linken Ufer steigen die bewaldeten Hänge der Niederen Tatra an, während im Norden die weite Ebene den Blick auf die westlichen Ausläufer der Hohen Tatra und die Liptauer Berge freigibt.


Hornád

Einer der schönsten Flüsse der Slowakei ist ohne Zweifel der Hornád mit seinen beiden Gebirgsdurchbrüchen und einer schnellen turbulenten Strömung (WW II - ¬WW III). Auf der gefahrenen Strecke von Hrabušice bis Spišská Nová Ves fließt er durch den oberen Durchbruch im Nationalpark Slovenský Raj (Slowakisches Paradies).

Bei dem vorhandenen Wasserstand von 40 cm am Pegel in Hrabušice boten sich nur geringe Schwierigkeiten, jedoch kann der Fluss im Durchbruch bei einem ganz bestimmten Wasserstand recht schwierig werden. Eine Befahrung ist dann nur wirklich sicheren Wildwasserfahrern mit entsprechender Technik und großer Erfahrung zu raten. Dieser Punkt ist erreicht, wenn der reißende Fluss die Wassermassen in die 11 km lange Schlucht drückt und die tief in die Kalkfelsen hineinführenden Grotten gerade noch sichtbar sind.

Im Laufe der Jahrhunderte haben sich in den Prallwänden tiefe Auswaschungen gebildet (mitunter kann man bei Niedrigwasser mit dem Boot mehrere Meter hineinfahren), in denen das Wasser mit einem unbändigen Malstrom alles festhält, was in die Nähe gelangt. Bei jedem anderen Wasserstand strömt der Fluss relativ ruhig in malerischen Windungen durch tiefe Klammen. Häufig sind Staustufen zu befahren, an denen es keine Umtragemöglichkeit gibt. Das gesamte Gebiet des "Prielom Hornádu" ist eine urwüchsige Landschaft ohne wesentliche Anzeichen des menschlichen Eingriffs. In letzter Zeit wird jedoch ein Wanderpfad gebaut, ähnlich dem der Edmundsklamm in der Böhmischen Schweiz , so dass auch hier der Tourismus etwas gefördert wird. Sicher ist aber in den nächsten Jahren noch nicht mit einer Übervölkerung dieser herrlichen Natureinsamkeit zu rechnen.

Angesichts der vielen Kenterungen auf der Schwarzen Waag verzichteten doch einige und zogen der Fahrt auf dem Fluss eine Wanderung über die Höhen des Slovenský Raj vor. Vorausgesetzt - man hat dazu die erforderliche Zeit - ist dies auch eine sehr lohnende Tour.


Orava

Ein breites, kiesiges Flussbett mit wenig, sehr wenig Wasser, so präsentierte sich die Orava bei unserer Ankunft in Oravský Podzámok. Nach einem Besuch des Schlosses Orava, einer der interessantesten slowakischen Burgen mit einer bewegten Vergangenheit seit dem 13. Jahrhundert, war das Wasser dank eines Zuschusses von 50 m³/s aus dem Stausee Oravská přehrada beträchtlich gestiegen. Auf sauberem Wasser mit WW II bei 3 ‰ Gefälle und einer Fließgeschwindigkeit von 6 km/h konnten wir dann die 30 km bis zur Mündung in die Waag bei Kral'ovany gut befahren. Oft im Paket ging es mit viel Spaß und Jubel über die Stromschnellen, manche Geröllstufe brachte mehr Wasser über die Boote als noch unter ihnen war. Zwischendurch konnte, wer Lust hatte, auf den breiten Walzen den Fluss nach Belieben queren.

Der Wasserstand der Orava ist unsicher, meist jedoch schlecht, denn der Stausee gibt nur noch am Bedarfsfall Wasser für die Waagkaskade ab. Zuschüsse für private Paddler sind nicht mehr möglich. Kurze Zeit nach dem Tatra-Ring waren Karl-Marx-Städter Kanuten dort und haben mehr die Wasserwander-Schuhe benötigt als das Paddel. Eingebettet zwischen die Höhenzüge Oravská Magura und Chočské pohorie strömt die Orava südwestlich, bis sie kurz vor der Mündung die Malá Fatra erreicht. Gewaltige Felsen fallen steil bis unmittelbar ins Wasser ab. Der letzte Durchbruch lässt den Fluss noch einmal in hohen Stromschnellen aufbrausen.


Dunajec

Es erscheint beinahe überflüssig, über den Dunajec noch Berichte zu schreiben. Wohl alle Wildwasserenthusiasten und viele Wanderfahrer kennen den Fluss von eigenen Befahrungen her oder zumindest aus umfangreichen Beschreibungen. Seit vielen Jahren ist er der beliebteste und meist befahrene Wanderfluss des sozialistischen Lagers. Als Grenzfluss zwischen Polen und der CSSR kann er von slowakischer Seite aus von Sromowce Wyżne bis zur Mündung des von rechts kommenden Baches Lesnica befahren werden. Dabei durchquert man fast den ganzen Durchbruch des Pieniny-Gebirges und erlebt das seltene Schauspiel der mit Touristen zu Tal fahrenden Flöße. Interessant ist die Klassifizierung des Schwierigkeitsgrades. Bei einem durchschnittlichen Gefälle von 2,4 ‰ wird der Fluss mit WW II angegeben. Außer bei Hochwasser stellt er daher an den Fahrer nur geringe Anforderungen. Zum Erlebnis werden immer wieder die herrliche Landschaft des Pieniny und das internationale Fluidum des Flusses.


Belá

Symbolisch für den Tatra-Ring und die slowakischen Wildflüsse ist sicher die Belá, eines der beliebten Motive für Werbematerial über die Tatra. Sie entspringt am Massiv des Krívaň (2494 m), der durch seine klare Silhouette zum Wahrzeichen des slowakischen Volkes wurde. In fast gerader Linie fließt die Belá mit 1,7 ‰ Gefälle über 22 km direkt in die Váh bei Liptovský Hradok. Wirft man von ihren Ufern oder vom Boot aus einen Blick bergwärts, steht gleich einer Krone das Panorama des Hochgebirges über dem Fluss.

Tagelang war die Belá unbefahrbar, nur eine Steinrinne, in der wenig Wasser floss. Doch am letzten Abend kam der ersehnte Regen, und so stand am folgenden Morgen ein kleines Häuflein Unentwegter im abklingenden Regen und Kälte am Startplatz in Podbanské. Zwar war es kein Hochwasser, doch reichte es gut zum Befahren, auch wenn wir uns dabei beeilen mussten, um auf der letzten Welle sicher zu Tal zu kommen. Es war ein richtiger "Plastebach", auf dem einige Boote zu Bruch gingen und der Weg manchmal mehr über Steine als über tragfähige Wellen ging. In Pribylina läuft dann der Fluss in die Breite, und es war angeraten, die Fahrt dort zu beenden. Wer weiterfuhr, musste sich dann im unteren Teil oft mit Mühe über die Kiesbänke schmuggeln.


Abschließend ist einzuschätzen, dass bei der Veranstaltung, entsprechend dem heutigen internationalen Stand der Ausrüstung, möglichst nur noch Polyester-Boote zum Einsatz kommen sollten. Die langen Transporte auf dem Hänger stellen gewisse Anforderungen an das Material, und neben Váh, Orava und Dunajec, die noch mit dem Faltboot befahren werden, sind Hornád und Belá doch sicherer im Kunststoffboot zu meistern. In Verbindung mit der Fahrt können noch einige Tage speziell für die Hohe oder Niedere Tatra angehängt werden. Von Liptovský Hradok sind es nur 30 - 40 km bis zur Grenze des Tatra-Nationalparks, das gesamte Gebiet wird von der ČSSR und Polen in der Form des Nationalparkes verwaltet. Von Štrbské Pleso, Tatranská Polianka und den übrigen Ortschaften entlang der "Straße der Freiheit" führen kurze Wege direkt bis in die oberen Felsregionen. Günstige Zeltplätze gibt es in Podbanské, Tatranská Štrba, Tatr. Lomnica, Tatr. Matliare und Stará Lesná. Der auch in der DDR erhältliche Touristenführer "Hohe Tatra" gibt über alle wichtigen Fragen ausführliche Informationen.

Wer keine Zeit zu einem Ausflug in die Berge hat, erlebt auf der Fahrt zum Dunajec das herrliche Panorama der Hohen Tatra. Vorausgesetzt es ist schönes Wetter, sieht der Autofahrer von der Straße, die im großen Bogen um das Gebirge führt, hinauf bis zu den Gipfeln und Schneefeldern in 2600 m Höhe.

Es gab keine Begrenzung für die Startmeldung. Über den Organisator, Sportfreund Milan Čarsky, Bratislava, kann Kontakt aufgenommen werden, um entsprechende Informationen und den Termin der nächsten Fahrt zu erhalten. Dank der guten Organisation wurde die Veranstaltung zu einer erlebnisreichen Woche mit vielen nachhaltigen Eindrücken. Wir schlossen neue Freundschaften und sehen sicher einige der Paddler bald wieder auf dem nächsten "Ring" oder einem unserer oder der polnischen Wildflüsse.


Quelle

Dieser Artikel stammt von Horst Meyner, Saara, und erschien in der Zeitschrift "Der Kanusport. Mitteilungsblatt des Deutschen Kanu-Sport-Verbandes der Deutschen Demokratischen Republik", 18. Jahrgang, Heft 1/1973, S. 5 f. Der Text wurde aus der Zeitschrift übertragen, lediglich die neue deutsche Rechtschreibung wurde berücksichtigt und die Schreibweise der Ortsnamen dem slowakischen Schriftbild angeglichen. Die am Schluss aufgeführte Adresse des damaligen Organisators Milan Čarsky wurde weggelassen. Eine weitere Aktualisierung der Fakten auf heutigen Stand (Zeltplätze, Bau neuer Staustufen, touristische Erschließung usw.) wurde nicht durchgeführt. Neue Fahrtberichte der letzten Jahre werden gerne entgegengenommen!

Vielen Dank an Horst Meyner für seine Genehmigung zur Veröffentlichung im Faltbootwiki.


Siehe auch folgende Artikel:


Weitere Fahrtberichte


Literatur

  • DKV-Auslandsführer Band 7: "Nordosteuropa" (Estland, Lettland, Litauen, Polen, Russland, Slowakei, Tschechien, Weißrussland). DKV-Wirtschafts- und Verlags-GmbH Duisburg 2008, ISBN 978-3-937743-14-1, S. 183 ff. (Dunajec), S. 351 f. (Hornad), S. 356 ff. (Vah), S. 359 f. (Orava), S. 361 (Bela), S. 362 f. (Cierny Vah)
  • Bochow, Karl-Heinz: Land unter der Tatra. Streifzüge zwischen Orava und Dunajec. F.A. Brockhaus Verlag Leipzig 1985, ISBN 3-325-00214-5 (Geschichtliche, geographische und touristische Streifzüge im Hügelland rund um das kleine Gebirge in leichtem, feinsinnigem Stil. Der Autor ist nicht nur erfahrener Wanderer, sondern auch begeisterter Paddler.)
  • Scherer, Karl: Tatra-Rundfahrt 1993. Impressionen. "Kanu-Sport" 8/1994, S. 361 (Kurzbeschreibungen von Dunajec, Cierny Vah, Orava, Hornad und Bela.)



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