Das Ergebnis einer nachgemachten Fahrt oder: "Wat dem een sin Uhl, is dem annern sin Nachtigall" (Friedrich 1972)

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Das Ergebnis einer nachgemachten Fahrt - oder: "Wat dem een sin Uhl, is dem annern sin Nachtigall"

Nichts ist mehr geeignet, unsere Sportfreunde zu einer Wanderfahrt zu animieren, als ein interessanter Fahrtenbericht mit schwärmerischen Reminiszenzen von herrlichen Zeltplätzen, landschaftlichen Reizen, idealen Bademöglichkeiten und bemerkenswerten Erlebnissen. Aus diesem Grunde wurde der Fahrtenbericht unseres Sportfreundes Günter Gelhaar zum Anstoß, auch einmal die Wisła zu fahren, um das alles nachzuerleben, was er so geschickt zu erzählen wusste.

Der Anfang stand unter einem günstigen Stern. Aufgabe der Boote, Platzkarten für einen durchgehenden Zug, Plätze im PTTK-Hotel "Dom Turysty" - alles war gesichert. Kraków empfing uns mit schönstem Wetter. Und so verlebten wir 3 Tage, die wir nicht missen möchten, denn Kraków bot soviel Interessantes, dass ein Urlaub nicht ausreicht, um alles kennenzulernen. Voller Tatendrang ging es am Montag zum Bahnhof, um Boote und Ausrüstung abzuholen, die wir 8 Tage vorher in Karl-Marx-Stadt aufgegeben hatten. Wer kann aber unsere Gesichter beschreiben, als wir die Auskunft bekamen: "Bagaże nie!" Damit begann unsere Odyssee. Zu jedem Zug, der von der Grenze kam, zu allen möglichen Dienststellen des Bahnhofs wurde gegangen, um immer wieder die gleiche Antwort zu erhalten: "Bagaże nie!" Im Hotel war kein Platz mehr für unsere müden Häupter, die Stimmung sank auf den Tiefpunkt. Dass wir nicht vollkommen verzweifelten, verdanken wir nur unseren polnischen Freunden Wielanowski und Michalik (er möge mir verzeihen, wenn ich mir seinen Namen nicht richtig eingeprägt habe) sowie der reizenden und immer hilfsbereiten Heimleiterin vom Bootshaus des Kolejowy Klub Wodny.

Hier fanden wir für die weiteren 3 Tage, die wir noch warten mussten, eine gute Unterkunft und auch unentbehrliche Hilfe bei der Nachforschung nach unserem Gepäck.

Endlich, am Mittwoch, trafen unsere Boote ein; gerade als wir dabei waren, nach Wielicka zu fahren, um das weltberühmte Salzbergwerk zu besichtigen (Sportfreund U. Henschke hat es im "Kanusport" 2/72 beschrieben). Bald hätten wir vor Freude über unsere Boote auf diese Fahrt verzichtet, wenn nicht Sportfreund Michalik zu uns gesagt hätte: "Wawel gibt viele in der Welt, aber Wielicka nur ein einziges Mal!" Und er hatte recht, diese Besichtigung wurde zum schönsten Erlebnis unseres Urlaubs! Nach der Rückkehr wurden die Boote aufgebaut. Zum Glück durften wir das im Bootshaus, denn inzwischen hatte uns ein ausgedehntes Regentief erreicht.

Am Donnerstag ging es nun endlich mit 3 Tagen Verspätung aufs Wasser. Leichter Regen und tiefhängende Wolken ließen uns wenig von der Landschaft erkennen, kaum, dass man bei der Stadtdurchfahrt den Wawel sah. Die Lust jedoch, endlich zu schwimmen, ließ uns das alles nicht so tragisch nehmen. Auch die fehlende Strömung und der einsetzende Gegenwind störten uns anfangs nicht weiter, wir waren ja ausgeruht und voller Tatendrang. Nach Durchfahrt der beiden einzigen Schleusen ließ der Regen nach, und die Strömung wurde merklich schneller. Nach 37 km beendeten wir de ersten Fahrtag, ohne an den Zeltplatz besondere Anforderungen zu stellen.

Am anderen Tag, wir waren glücklicherweise gerade mit dem Einpacken fertig, ging ein wolkenbruchartiger Regenguss nieder und zwang uns, eine Stunde mit der Abfahrt zu warten. Das sollte der letzte Regen dieser Fahrt gewesen sein, von nun an gab es nur noch Sonnenschein im Überfluss.

Wenn nun der Leser erwartet, jetzt beginnt er, von den Schönheiten der Fahrt zu schwärmen, wie der Sportfreund Gelhaar, dann täuscht er sich gewaltig. Die Fahrt wurde hart und für uns alle eine kleine Enttäuschung. Dass die Sonne wochenlang unbarmherzig auf uns niederbrannte, sich unsere Haut mehrmals davonmachte, dass der Gegenwind die Strömung fast vollständig aufhob, war nicht das Schlimmste. Das Schlimmste war, dass man Hunderte von Kilometern kaum ein Haus oder Dorf zu sehen bekam. Zu sehen war nur meterhohes Weidengestrüpp an den Ufern und auf den Inseln. Wir hatten im Gegensatz zur Fahrt des Sportfreundes Gelhaar mittleren Wasserstand und fuhren deshalb mindestens 2 Meter tiefer als er mit seiner Gruppe. Die Häuser hinter den Deichen waren für uns deshalb kaum sichtbar.

Das hatte aber noch andere Auswirkungen: Zeltplätze, die einigermaßen unseren Ansprüchen genügten, fanden wir kaum. Erstens waren die Ufer fast überall steile , 2 bis 3 Meter hohe Sandabbrüche. Zweitens war das Weidengestrüpp so hoch und dicht, dass man kaum ein Zelt dazwischen brachte, und dort, wo es hinter Buhnen einigermaßen flach war, lag so viel Schlamm über dem Sand, dass man nicht sauberen Fußes ans Ufer kam. So wurde die Zeltplatzsuche nach 50 km Fahrt immer zum größten Problem, vor allem, weil nach der großen Hitze und Anstrengung die Nerven der Fahrtgenossen auch nicht mehr die besten waren. Dort, wo Sportfreund Gelhaars schönster Zeltplatz war, beim Kilometer 445, gab es gar keine Insel mehr, sie war inzwischen Festland mit dem üblichen Steilufer geworden. Wir waren hauptsächlich auf die Stellen angewiesen, an denen sich durch Ortsnähe eine Fähre befand und eine Straße ins Landesinnere führte. Dafür war dort natürlich auch der entsprechende Betrieb. Weitere Schwierigkeiten gab es durch die Flussregulierungsarbeiten, denn die Schäden des letzten Hochwassers waren auf weiten Strecken noch nicht überwunden. An den Ufern wurden Steine aufgeschüttet und weit in den Strom hineinreichende Buhnen durch Dämme miteinander verbunden, um dem unberechenbaren Fluss abgeschwemmtes Land wieder abzuringen.. Dadurch konnten wir eine ganze Anzahl schöner Plätze nicht anfahren. Heiter wurde es ab und zu, wenn einer unserer Freunde auf die unzähligen heimtückischen Sandbänke auffuhr und wasserwandernd wieder freies Wasser zu erreichen versuchte. Ehe sich's die Lacher aber versahen, saßen sie meistens selbst fest, denn: Wer zuletzt lacht, lacht am besten! Die ganze Fahrt war ein einziger Riesenslalom; Torbreite 200 bis 300 Meter. Wer die "Tore" verpasste, weil er eine Kurve abschneiden wollte, wurde bald beim "Füßewaschen" beobachtet. Selten kam mal ein Schlepper mit Sand oder Steinen beladen. Ab und zu sahen wir am Ufer eine Gruppe Arbeiter, die die Buhnen befestigten. Ansonsten Einsamkeit oder besser Eintönigkeit bis zur Monotonie.

So waren wir alle froh, dass wir trotz der 3 Tage Verzug noch planmäßig Warschau erreichten. Durch die Empfehlung des polnischen Sportfreundes Wielanowski fanden wir am Bootshaus des Warszawski Klub Wodniaków eine günstige Möglichkeit zum Abbauen. Wir konnten dort unsere Boote unterstellen, die wir dann anderntags mit einer Gütertaxe zum Warschauer Bahnhof brachten.

Trotzdem möchte ich nicht unterlassen, auf das Wertvolle dieser Fahrt hinzuweisen. Da sind in erster Linie die Menschen, denen wir unterwegs begegnet sind. Bauern, einfache Arbeiter bei der Flussregulierung, Schiffer, alle waren freundlich und hilfsbereit, wo sie nur konnten. Wir hörten kein böses Wort über uns Deutsche, wenn auch die Spuren des faschistischen Krieges gerade an der Wisła heute noch nicht ganz verwischt sind.

Viele ältere Menschen sprechen deutsch , ihre Sprachkenntnisse stammen teilweise noch aus Kriegsgefangenschaft oder Zwangsarbeit im faschistischen Deutschland. Und trotzdem kein Hass auf uns!

Fast schämten wir uns, so wenig polnisch zu verstehen und auf die Deutschkenntnisse der polnischen Freunde angewiesen zu sein, wenn wir Wünsche hatten.

Das bemerkenswerteste landschaftliche und städtebauliche Erlebnis bleibt Kazimierz Dolny. Glücklicherweise hatten wir noch einen Ruhetag in Reserve, so dass wir ausgiebig das sehr interessante historische Städtchen und die reizvolle Umgebung ansehen konnten. Hier sind wir uns mit dem Sportfreund Gelhaar einig: "Kazimierz ist eine Reise wert!"

Dazu kommen noch einige Rosinen, die in dem an sich trockenen Weichselkuchen sehenswert sind wie Baranów, Sandomierz und Puławy; diese Orte kann man aber leichter mit dem Omnibus erreichen.

Warschau wurde am Ende wieder zu einem Erlebnis für sich. Wie schön diese Stadt aus fast völliger Vernichtung wieder auferstanden ist, erfordert höchste Hochachtung vor den polnischen Werktätigen.

Die Übernachtung im PTTK-Hotel "Dom Turysty", die Bootsaufgabe und die Heimfahrt mit dem direkten Zug nach Dresden klappten wieder ohne Schwierigkeiten.

Quintessenz: Für uns keine lohnende Fahrt und auch bei den polnischen Sportfreunden nicht so beliebt. Lohnend ist diese Fahrt für den Historiker, dann ist aber das Auto vorteilhafter. Interessanterweise trafen wir in den Städten an der Wisła Touristen aus ganz Europa, aber kaum aus der DDR!

Wem die Wisła noch im Fahrtenbuch fehlt, der soll sie fahren, ohne jedoch die Erwartung so hoch zu schrauben wie wir.

Vielleicht lesen wir dann ein weiteres Mal von diesem wechselhaften Strom und bekommen wieder andere Töne zu hören, denn dieser große polnische Fluss wechselt dauernd sein Gesicht und bereitet den Anliegern und seinen Gästen immer neue Überraschungen.


Quelle

Dieser Artikel stammt von Georg Friedrich, Chemnitz, und erschien in der Zeitschrift "Der Kanusport. Mitteilungsblatt des Deutschen Kanu-Sport-Verbandes der Deutschen Demokratischen Republik", 19. Jahrgang, 12/1972, S. 186 f. Der Text wurde aus der Zeitschrift übertragen, lediglich die neue deutsche Rechtschreibung wurde berücksichtigt und die Schreibweise der Ortsnamen dem polnischen Schriftbild angeglichen. Eine Aktualisierung der Fakten auf heutigen Stand (andere Zugverbindungen, Verschiebung der Sprachkenntnisse, Wiederaufbau usw.) wurde nicht durchgeführt. Neue Fahrtberichte der letzten Jahre werden gerne entgegengenommen!

Vielen Dank an Georg Friedrich für seine Genehmigung zur Veröffentlichung im Faltbootwiki.


Weitere Artikel

  • weitere Infos zum Land stehen im Artikel Polen.


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