Befahrung von Schwallstrecken und stark verblockten Wildwasserflüssen (Opelt 1989)

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Inhaltsverzeichnis

Befahrung von Schwallstrecken und stark verblockten Wildwasserflüssen


Für den Übungsleiter (VI)


Wildflüsse weisen in der Regel mehr oder weniger stark verblockte Stellen und Schwallstrecken auf. In Abhängigkeit von der Wassermenge und der Fließgeschwindigkeit unterscheidet sich der Charakter der Wildflüsse erheblich. Damit der Wildwasserfahrer eine Vorstellung über die Beschaffenheit eines Wildwasserflusses erhält, gibt es eine international gültige Schwierigkeitswertung für Wildwasser. Diese Schwierigkeitsstufen kommen jedoch fast nie ausschließlich in der dargestellten Form vor. Der Kanu-Tourist muss stets auf plötzlichen Wechsel von leichten zu sehr schweren Wildwasserabschnitten eingestellt sein!


Schwierigkeitswertung für Wildflüsse

WILDWASSER I - leicht
Kleine Schwälle mit niedrigen und regelmäßigen Wellen. Die richtige Fahrlinie ist leicht zu erkennen, ihre Einhaltung wird durch einfache Hindernisse erschwert.


WILDWASSER II - mittelschwer
Häufige Schwallbildung mit meist regelmäßigen Wellen. Leichte Wirbel und Kehren. Die zweckmäßige Fahrlinie ist im Allgemeinen gut erkennbar.


WILDWASSER III - schwer
Zahlreiche Schwälle mit hohen, unregelmäßigen Wellen und Walzenbildung. Die zweckmäßige Fahrlinie ist nicht immer leicht erkennbar. Schwierige Floßgassen.


WILDWASSER IV - sehr schwer
Lang anhaltende Schwallstrecken mit hohen, unregelmäßigen Wellen. Schwierige Walzen- und Wirbelbildung. Scharfe Kehren und schwierigste Floßgassen. Vorherige Besichtigung vom Land aus zum Finden der Fahrlinie ist empfehlenswert:


WILDWASSER V - überaus schwer
Ununterbrochene lange Schwallstrecken, außerordentlich hohe Stromgeschwindigkeit. Schwierigste Walzen und Wirbel. Vorherige Besichtigung vom Land aus zum Finden der Fahrlinie ist unerlässlich.


WILDWASSER VI - äußerst schwer
Steigerung aller genannten Schwierigkeiten bis zur Grenze des Befahrbaren.

In der DDR wird der Kanu-Sportler bei Frühjahrshochwasser Wildwasser der Stufe III bis maximal Stufe IV (z. B. Zwickauer Mulde zwischen Bockau und Aue und das Teilstück der Zwickauer Mulde im Internationalen Kanu-Gelände Zwickau) vorfinden.

Flüsse mit Wildwasserstufen IV und mehr wird der Kanute bei Fahrten ins sozialistische Ausland antreffen (z. B. die Elbenge bei Špindlerův Mlýn [ČSSR]).

Da jedoch der größte Teil der Wildflüsse, wie auch die Zwickauer Mulde und Elbe, durch Talsperren volkswirtschaftlich genutzt werden, muss man schon großes Glück haben, um das Abenteuer der Befahrung schwieriger Wildwasserstrecken erleben zu können.

Dabei sollte der Kanu-Sportler sein Fahrvermögen unter Beachtung der Schwierigkeitsstufen real einschätzen und auch stets mit Überraschungen rechnen. Plötzliche starke Regenfälle oder Tauwetter können zu erheblichen Veränderungen im Schwierigkeitsgrad führen.


Befahrung von Schwallstrecken

In allen sechs Wildwasserstufen der unterschiedlichen Schwierigkeitsgrade findet man Schwälle vor, so dass deren Befahrung zum ABC des Kanuten gehört. Ein Schwall entsteht durch Hemmung der Strömung und ist durch eine Vielzahl schwingender Wellen gekennzeichnet, die von oben betrachtet ein V ergeben.

Das Durchfahren einer Schwallstrecke macht natürlich in der Hauptströmung, dort, wo die Wellen am höchsten sind, die größte Freude. Gleichzeitig zeigen die höchsten Wellen die beste Fahrlinie an. Diese Befahrung verlangt keine besondere Technik. Man achtet nur darauf, dass das Boot durch Vorwärtsschläge gerade in der Hauptströmung gehalten wird.

Ist die Wellenbildung besonders hoch und will man das Stampfen des Bootes verhindern, fährt man am Rande des Hauptstromstriches. Der geübte Kanu-Fahrer wird sich hin und wieder auch quer im Schwall treiben lassen, sollte aber jederzeit bereit sein, mit dem Paddel zu sichern und die Bootslängsachse in die Fahrtrichtung zu bringen. Des Weiteren bilden Schwallstrecken mit ihren Rückwassern die Möglichkeiten des Ein- und Ausschlingens.


 


Technik des Einschlingens (Einfahren in die Strömung)

Aus dem Kehrwasser paddelt man stromaufwärts schräg zur Strömung hin. Wenn das Vorschiff von der Strömung erfasst wird, erfolgt ein Ankanten des Bootes flussabwärts, und mit dem Paddel stützt man sich flussabwärts ab.


Technik des Ausschlingens (Einfahren in das Kehrwasser)

Aus der Strömung fährt man in das Kehrwasser. Das Boot wird durch das Kehrwasser abgebremst. Dabei erfolgt ein Ankanten flussaufwärts zur Hauptströmung. Das Paddel dient wieder als Stütze flussaufwärts.

Beim Ein- und Ausschlingen ist der sehr große Geschwindigkeitsunterschied zwischen Schwall- und Kehrwasser zu beachten, da es sonst schnell zur Kenterung kommt. Das Ein- und Ausschlingen eignet sich in erster Linie für das Üben der Bootsbeherrschung.


Befahrung von stark verblockten Wildflüssen

Stark verblockte Stellen in Wildflüssen, die man auch als Katarakt bezeichnet, haben ihren besonderen Reiz und ihre Schwierigkeiten, bedingt durch unterschiedliche Strömungen sowie Wirbel und Walzen. Die Befahrung solcher Abschnitte erfordert eine gründliche vorherige Besichtigung von Land aus.


 


Varianten zur Befahrung einer verblockten Stelle: Variante 1

Bei einer unübersichtlichen verblockten Stelle wird sich der Fahrer unter Ausnutzung der Kehrwasser hinter den Blöcken mit Hilfe von Hilfsschlingen (siehe Technik Ein- und Ausschlingen!) im Fluss regelrecht "abseilen". Dabei wird das Fahrtempo reduziert.


Variante 2

Um einem plötzlich sichtbaren Hindernis (Steinblock) auszuweichen, kann man auch die Technik der "Seilfähre rückwärts" anwenden. Dabei wird das Boot abgebremst (der Bug bleibt stromab) und das Heck im spitzen Winkel gegen die Strömung in die gewünschte Richtung, in die gefahren werden soll, gestellt. Durch Rückwärtspaddeln gegen die Strömung wird das Boot seitlich versetzt. Diese Befahrungsvariante hat den Vorteil, dass der Fahrer das Hindernis stets im Blick hat.


Variante 3

Das Umfahren von Blöcken erfolgt auch durch entsprechende Schlagkombinationen, wie sie bereits im vorherigen Beitrag im Heft 5/89 im Abschnitt technische Fertigkeiten beschrieben werden. Diese Technik erfordert bereits eine spezifische Ausbildung und mündet in die Fertigkeitsentwicklung von Slalom-Fahrern.


Begriffserläuterung

  • Ausschlingen : Aus der Strömung ins Kehrwasser fahren
  • Einschlingen: Aus dem Kehrwasser in die Strömung fahren
  • Hilfsschlinge: Aus- und Einschlingen in der Einheit
  • Schwall: Wellenbildung und höhere Strömungsgeschwindigkeit
  • Kehr- bzw. Rückwasser: Zurücklaufende Wasser hinter einem Hindernis


Quelle

Dieser Artikel stammt von Ulrich Opelt, Leipzig, und erschien in der Zeitschrift "Der Kanusport, Mitteilungsblatt des Deutschen Kanu-Sport-Verbandes der Deutschen Demokratischen Republik", 36. Jahrgang 6/1989, S. 9 f. Der Text wurde aus der Zeitschrift unverändert übertragen, lediglich die neue deutsche Rechtschreibung wurde berücksichtigt.

Vielen Dank an Ulrich Opelt für seine Genehmigung zur Veröffentlichung im Faltbootwiki.


Siehe auch folgende Artikel:


Literatur

  • Alpiner Kajak-Club (Hrsg): Kanu-Gefahren. 4. Auflage 1987, München (Knappe, instruktive Einweisung in Wort, Zeichnung und Bild, an Wildwasserpaddler gerichtet, mit Unfallanalysen: Gefahren an Wehren – Der Schwimmunfall – Verklemmen – Sicherheitstechnik und -training – Ausrüstung – Erste Hilfe bei Ertrinkungsunfällen.)
  • Herberger/Lenz/Roloff/Schmidt/Seifert/Thiel/Winterstein/Wozniak: Kanusport. Eine Anleitung für Renn-, Slalom- und Wildwasserfahrer. Sportverlag Berlin (Ost) 1963 (''Dieses in 2. Auflage 1972 und später noch mehrfach verlegte Lehrbuch des Hallenser Olympia-Kanurenntrainers und Kanuslalom-Meisters Karl-Heinz Wozniak war die Bibel der Sport- und Wildwasserpaddler der DDR. Das Wildwasser-Lehrbuch der DDR, in 2. Auflage 1972 aufgelegt, bezieht sich auf klassische Langeiner - aber nichts anderes ist ein Faltboot ja. Jochen Lenz war hochrangiger Kanutrainer und Mitglied des Rennkomitees des Internationalen Kanuverbandes. Das Buch wurde noch 1986 von Horst Meyner im DDR-Blatt "Der Kanu-Sport" (Heft 6/86, S. 5) gelobt.)
  • Karl-Heinz Wozniak (Hrsg.): Kanu-Sport. Ein Lehrbuch für Trainer, Übungsleiter und Aktive. Sportverlag Berlin (Ost) 1963 (Diese in 2. Auflage 1972 und später noch mehrfach verlegte "Anleitung für Renn-, Slalom- und Wildwasserfahrer" des Hallenser Olympia-Kanurenntrainers und Kanuslalom-Meisters war die Bibel der Sport- und Wildwasserpaddler der DDR.)


Artikel in Paddelzeitschriften

Siehe auch


Kanu-Sport

  • Beier, Udo: Lebensgefahr beim Ablegen auf Fließgewässern. "Kanu-Sport" 4/2007, S. 21-23 (unter Mitarbeit von J. Beier, Bernd Schildwach und P. Heil) (Hallo Paddler: Legt immer mit dem Bug GEGEN die Strömung an und ab!)
  • Schulze, Dirk: Paddel-Risiken erkennen helfen. Vorbereitung eines Sicherheitskurses - ein Erfahrungsbericht. "Kanu-Sport" 9/2008, S. 32-34
  • Seehausen, David: Eine Wissenschaft für sich - die Eskimorolle im Kajak. "Kanu-Sport" 2/2017, S. 44-47 (Wer Nachwuchs sucht, muß auch Alltagskönnen vermitteln! So wie hier. Ganz ohne Assistenz, das weiß der Rezensent, klappt das Lernen nicht - aber wer den Artikel gelesen hat, geht entspannter heran.)
  • Zicke, Christian: Das kleine 1x1 des Wildwasserfahrens. "Kanu-Sport" 3/2018, S. 34-36. (Dazu auf S. 37-39 der Artikel "Wie geht es? Korrekt Kehrwasser fahren". Auch für das Manövrieren in Buhnenfeldern bei stark strömenden Großflüssen verwendbar.)
  • Nieder, Rainer: Wildwasser-ABC für den Flotten I-er, II-er oder III-er. "Kanu-Sport" 3/2019, S. 30-39 (kurze Wildwasser-Lehre: "Wasser lesen", Stromzunge, Kehrwasser, Traversieren, u. a. m.)
  • Schneider, Ralf: Hält mein Wurfsack? "Kanu-Sport" 3/2020, S. 44 f. (Kriterien für ein sinnvolles Wurfsackmodell.)
  • Nieder, Rainer: Wie wild darf Kanuwandern sein? "Kanu-Sport" 3/2021, S. 36-41 (Beschreibung einfacher Wildwassertechniken, die man auch als Wanderpaddler beherrschen sollte: Kehrwasser fahren (Ein- und Ausschlingen), Kanten, Surfen, Walzen durchfahren, Bogenschlag, Bootsgassen und Verschneidungszonen passieren, Traversieren (= Seilfähre fahren). Das Erkennen und Einschätzen schwieriger Situationen wird in Wort und Bild erläutert.)
  • Bühler, Stefan: Strömung und Strömungskräfte auf Flüssen. "Kanu-Sport" 4/2021, S. 40 f.


Kanumagazin

  • Kotzen, Matthias: Sicher auf dem Fluß. "Kanumagazin" 5/1998, S. 42 f. (Gefahren von Baumstämmen, die in die Strömung ragen, und Techniken zum problemlosen Passieren.)
  • Hoh, Jürgen: Aus dem Wasser zurück ins Boot. "Kanumagazin" 7/2004, S. 56 f. (Beschreibung der T-Rettung im Kajak in Wort und Bild.)
  • Klatt, Jens: Die gute Linie. Boxenstop im Kehrwasser. "Kanumagazin" 5/2016, S. 46 f. (Kehrwasserfahren in Buhnenfeldern. Dazu auf S. 40-50 verschiedene Wildwassertechniken.)


Kajak-Magazin

  • Auffermann, Uli: Damals in den 1960er Jahren - die ersten richtigen Wildwasserhelme werden entwickelt. "Kajak-Magazin" 1/2011, S. 74 f.
  • Vogels, Christian: Richtig Kehrwasserfahren. "Kajak-Magazin" 4/2015, S. 72-75
  • Vogels, Christoph: Sicherheitsequipment beim Wildwasserpaddeln. Kaufberatung: Mehr als nur Schwimmweste und Helm. "Kajak-Magazin" 1/2017, S. 58-62
  • Zicke, Christian: Sicherheit im Wildwasser, Teil 4: Die Praxis mit Wurfsack & Co. "Kajak-Magazin" 6/2018, S. 24-28
  • Zicke, Christian: Sicherheit im Wildwasser, Teil 5: Fahrtenplanung. "Kajak-Magazin" 1/2019, S. 36-40


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