"Njama Problema" oder "Man kann ja nie wissen!" (Tuch 1980)

Aus Faltbootwiki

Wechseln zu: Navigation, Suche
Der Donaulauf, nach Ländern gegliedert:
Donau, deutscher Teil
Donau, österreichischer Teil
Donauauen (Österreich)
Donau, slowakischer Teil
Kleine Schütt (Donauaue SK, HU)
Donau, ungarischer Teil
Donau, serbischer Teil
Donaudelta, Gewässerbeschreibung
Fahrtberichte:
Die TID - alles, was du schon immer wissen wolltest ;-) - ein netter Bericht von der größten Wanderfahrt der Welt
Hron-Donau-Fahrt (Gelhaar 1973)
Donaufahrt Ingolstadt - Wien (Brockmann 1985) - mit der Familie auf dem schönsten Teil der Donau
Auf der TID am Vorabend des Mauerbaus (Kühnisch 2009) - ein Erlebnisbericht von der 6. TID 1961
Erlebnisse bei der TID in Bulgarien (Heyn 1988)
"Njama Problema" oder "Man kann ja nie wissen!" (Tuch 1980) - Auf Iskar und Donau unterwegs
Schiffbruch im Donaudelta (Lüderitz 1974)
Zehn Tage Donaudelta (Buhl 1988)
Einsetzstellen an der Donau über ihren ganzen Lauf




Inhaltsverzeichnis

"Njama Problema" oder "Man kann ja nie wissen!"

Mit Rucksack und Faltboot in Bulgarien



I.


Endlich war der langersehnte Abfahrtstag herangerückt. 22 Sportfreunde der BSG Tiefbau Berlin, der Jüngste knapp drei Jahre und der Älteste bereits über 50 Jahre alt, trafen sich auf dem Bahnhof Berlin-Schöneweide, um ihre bisher weiteste und längste Urlaubsreise anzutreten.

Mit unseren riesigen Gepäckmengen erregten wir das übliche Aufsehen, aber wer konnte auch wissen, dass wir mit Rucksack und Faltboot, zu Fuß und auf dem Wasser, etwas von Bulgarien kennenlernen wollten. Zur Abfahrtszeit des Trakia-Express auf Bahnsteig 26 des Hauptbahnhofs Leipzig waren wir Gleiche unter Gleichgesinnten, alle zog es nach dem sonnigen Bulgarien.

Hörbares Aufatmen des Fahrtenleiters, die Buchung der Liegeplätze vom Februar stimmte auch noch im August, und so hatte jeder seine Liege für die weite Reise nach Sofia.

Die Fahrt verlief ohne Zwischenfälle, vielleicht bis auf 12 Stunden Verspätung, von denen wir 8 Stunden in Bukarest auf dem Abstellbahnhof zubrachten. Aber wir hatten Urlaub, und so wollen wir nur die guten Seiten sehen. Sehen konnten wir dadurch nämlich bei Tageslicht die schönsten Gegenden am Donauknie in Ungarn, den Predealpass und die Abfahrt nach Sinaia in Rumänien und die unbeschreiblichen Schönheiten des Iskar-Durchbruches in Bulgarien.

Nach 60 Stunden Eisenbahnfahrt: Jubelnder Empfang auf dem Sofioter Hauptbahnhof. Alle uns lieb und teuer gewordenen Freunde waren zu unserer Begrüßung erschienen: Moni und Mascha, Wastko und Sheni, Niki und Natascha, Ljudmil und Ani, Kristjo, Wanja und Käpt'n Shoro und Joana. Umarmungen und Küsse und Umarmungen wollten kein Ende nehmen. Vor 12 Monaten hatten wir uns "Auf Wiedersehen" gewünscht, und heute waren wir sofort wieder eine große Familie. Mit dieser Hochstimmung geleitete man uns in das Restaurant eines Klubs. Dort begrüßten uns unsere Gastgeber mit einem bulgarischen Essen und Trinken mit vielen, vielen "Na zdrawe". Mit der überwältigenden Herzlichkeit unserer bulgarischen Freunde, ihrem "Njama Prolema" und dem "Na zdrawe" übertrugen sie den Sonnenschein über Sofia auf unsere Stimmung.

Nach fröhlichen drei Stunden fuhren wir zu einer Touristenstation und schlugen im Schatten hoher Bäume unsere Zelte auf. Wenig später zogen wir los zur organisierten Stadtbesichtigung. Fast alle Sehenswürdigkeiten Sofias sind konzentriert am "Bulevard Ruski". Wir reihten uns ein in die lange Reihe der Wartenden am Dimitroffmausoleum und verneigten uns ehrfürchtig vor dem aufrechten Kommunisten. Anschließend besuchten wir die Alexander-Newski-Kathedrale. Zur Erinnerung an den opferreichen Kampf gegen die fünfhundertjährige Fremdherrschaft der Türken, der schließlich mit Hilfe des russischen Volkes zum Sieg führte, hat hier das gesamte bulgarische Volk ein Denkmal der nationalen Wiedergeburt geschaffen. Mit großer Sachkenntnis erklärte uns Wastko den Symbolgehalt der Ikonen, die reichen Kunstschätze und die Architektur des Gebäudes, nannte die Namen der Künstler und ihre Lebensdaten.

Sofia wächst, aber es altert nicht, rings um den Stadtkern schießen die Neubauviertel in die Höhe und zeugen von der gewachsenen ökonomischen Leistungskraft Bulgariens.

Am Abend werden wir von den Familien eingeladen.

Ausgiebig wird unser Wiedersehen zu Hause oder in attraktiven Folkloregaststätten gefeiert. Immer wieder aufs Neue sind wir überrascht von der überströmenden Herzlichkeit unserer Gastgeber.

Am nächsten Morgen zu früher Stunde holt uns Käpt'n zur Wanderung ins Witoschagebirge / Витoшa ab. Mit dem Bus geht es über schwindelerregende Serpentinen hinauf bis Aleko / Aлeко. Hier endet die Straße, und nun müssen die Tiefbauer zeigen, dass sie nicht nur paddeln, sondern auch wandern können. Immer höher bis weit über die Baumgrenze führt der Weg hinauf zum Tscherni Wrach / Чepни вpъх (2 290 m). Dankbar laben wir uns am süßen Tee aus Gebirgskräutern. Nach kurzer Erholungspause beginnt der Abstieg über einen fußunfreundlichen Pfad, dem leider unsere Anne zum Opfer fiel. Flankiert von zwei lebendigen Krücken humpelte Anne dann zu Tale. Zur Mittagszeit sind wir an der Hütte "Kumata" / Кyмaтa. Für wenige Stotinki gibt es eine warme Bohnensuppe und natürlich Weißbrot.

Nächstes Ziel ist die "Goldene Brücke". In Urzeiten schlug hier eine Geröllawine eine Schneise in den Wald.

Riesige, verwitterte, runde Steine erstrecken sich kilometerlang am steilen Hang, dazwischen rieselt ein glasklares Bächlein. Die Steine sind von Moos und Flechten überzogen, die in der Nachmittagssonne wirklich golden leuchten.

Entlang dieses wildromantischen Naturphänomens führt unser Weg weiter steil abwärts bis ins Dorf Vladaja / Влaдaя. Im Hofe einer kleinen Dorfkneipe, in der schattigen Kühle großer Bäume, wird unsere Witoschawanderung ausgiebig gefeiert.

Es ist noch dunkel, als der Fahrtenleiter schlaftrunken von Zelt zu Zelt stolpert, um seine Mannen zu wecken. Sehr früh am Morgen fahren wir mit dem Linienbus zum Rilakloster / Pилcки мaнacтиp. Drei Stunden fahren wir durch dörfliche Gegend. Auf den Feldern wachsen viel Mais, Tabak, Wein, Melonen und Paprika. überall sehen wir Esel, die geduldig vor ihren kleinen Karren stehen. Vergebens sucht man nach frischem Grün, das Land und die Flüsse sind ausgetrocknet und trotzdem üppiges Wachstum auf den Feldern.

In der Nähe des Rilaklosters verlassen wir den Bus, hinterlegen unser Gepäck in einer Touristenstation und wandern los in Richtung Kloster. Die bulgarischen Klöster waren zur Zeit der Türkenherrschaft die Hüter der bulgarischen Nationalkultur. Hier schufen die Mönche Kyrill und Method die bulgarische Schriftsprache. Während der Zeit der Befreiungskriege spielten die Klöster eine nicht unbedeutende Rolle. Sie waren zugleich Zufluchts- und Ausbildungsstätte der besten Söhne des Landes. Heute ist das Rilakloster Anziehungspunkt für Touristen aus aller Welt. Mehrere Stunden haben wir Zeit, die architektonische Pracht, die Museen und auch die jetzigen Bewohner zu betrachten und zu bestaunen. Immer wieder weist uns Käpt'n auf Besonderheiten hin, erklärt uns Architektur, Ikonen und Wandmalereien. Immer wieder gleiten unsere Blicke nach oben in die schroffe Bergwelt des Rilagebirges, das Ziel der nächsten Tage.

Bereits früh 4 Uhr wirft uns Shoro aus dem Bett. Die Hälfte unserer Gruppe startet zur dreitägigen Wanderung durchs Rilagebirge. Unser Ziel ist der höchste Berg des Balkans, der 2925 m hohe Musala / Mycaлa. Wir wandern durchs Tal des Rilskibaches. Plötzlich endet der Weg.

Ein Hochwasser hatte die Brücken weggerissen, wir müssen zurück und einen anderen Weg wählen. Ständig geht es bergauf, immer höher und höher. Tief unter uns tost der Wildbach über Steine und Felsen, da ist Wasser und auch Leben, die üppige Fauna des Hochgebirges.

Bald verlassen wir die Straße und wandern wieder über unwegsame, ausgetretene Pfade dem heutigen Tagesziel entgegen. Plötzlich endet das Tal. Eingebettet in einem Kessel liegen der "Ribni esera" und die Jugendherberge gleichen Namens. Bis zum späten Abend kommen noch viele Touristen, und das Erstaunlichste ist, keiner wird abgewiesen. Für die letzten wird Platz im Aufenthaltsraum geschaffen. Todmüde fallen wir in das riesige, den ganzen Raum füllende Touristenbett für mindestens 60 Personen.

Die Sonne steht noch weit hinter den Bergen, als wir den ersten Aufstieg nehmen. Als wir den Talkessel verlassen haben, strahlt die Sonne über die Spitzen der Berge und bietet uns ein herrliches Panorama des Hochgebirges. Wir sind etwa 2 400 m hoch. Shoro zeigt in die Ferne - dort im Dunst liegt der König der Berge, der Musala.

Der Weg ist mühsam. Jeder Schritt muss wohlüberlegt sein, hier darf einfach nichts passieren, wir sind weit weg von jeglicher Hilfe. Immer wieder legen wir eine kurze Rast ein. Zum einen, um uns auszuruhen und zum anderen, um den Blick über die Berge schweifen zu lassen.

Wir bewundern die "echten" Bergtouristen, die, mit riesigen Rucksäcken beladen, uns bei den Anstiegen noch überholen. Unerbittlich führt der Pfad weiter. Wir sind dankbar, wenn er etwas um den Berg herum führt und nicht unmittelbar über alle Gipfel. Der letzte Anstieg fordert nochmals das Letzte von uns. Zehn Stunden wanderten wir bereits bergauf und bergab, und nun standen wir vor einem fast 45° geneigtem Hang mit einem schnurgerade nach oben führenden Pfad. Noch 200, 300 m Höhenunterschied waren zu überwinden, das Ziel schon greifbar nahe. Aber die Flachlandbewohner von den Müggelbergen mussten ihren ganzen Willen aufbieten und stapften unter Keuchen und Stöhnen und vielen Pausen zum Gipfel. Endlich oben, und was erwartete uns hier - nichts, nichts als Nebel. Inzwischen hatte sich der Musala mit Wolken umhüllt, und es regnete. Aber es gab auch einen warmen Raum mit heißem, süßen Tee, mit Abzeichen, Stempeln und Ansichtskarten.

Wir überraschten unseren Käpt'n, Wanja und Shoro mit kleinen Souvenirs als Dank für die ausgezeichnete Bergführung. Und nun verriet uns Wanja auch, daß diese 12-Stunden-Wanderung eine kleine Rache für vorjährige 40-km-Paddeletappen war.

Nach ausgiebiger Rast kletterten wir bergab zur Jugendherberge Musala, die wieder in einem Talkessel an einem künstlich aufgestauten See lag.

Ausgeschlafen und ausgeruht nahmen wir die letzten Kilometer nach Borovez / Бopoвeц unter die Füße. Langsam näherten wir uns wieder der Baumgrenze. Noch lag unter uns eine dicke Nebelwand. Plötzlich waren wir mitten drin. Die Nebelwand entpuppte sich als eine ganz gemeine Regenwolke. Es goss in Strömen. Binnen kurzem verwandelte sich der Waldweg in einen Wildbach. Bis auf die Haut durchnässt, kamen wir in Borovez an. Wieder fanden wir in einer Jugendherberge freundliche Aufnahme, konnten uns notdürftig trocknen und anschließend nach drei Tagen Kaltverpflegung ordentlich essen und natürlich - "Na zdrawe" - auch unseren Sieg über den Musala und über uns feiern.

Mit dem Bus ging es zurück nach Sofia.

Resümee dieser ersten Woche: Die Anstrengungen hatten sich gelohnt. Für die meisten von uns war es das erste Hochgebirgserlebnis, festgehalten in der Erinnerung und auf vielen Metern Film. Allerdings sollte man für solch eine Wanderung kerngesund sein. Besonders unsere nicht mehr ganz jungen Sportfreunde hatten teilweise erhebliche Schwierigkeiten mit dem Kreislauf.

Aber mit Hilfe des gesamten Kollektivs hatten es alle geschafft.

Die neue Woche begann mit dem Programmwechsel, denn vorrangig waren wir ja zum Paddeln nach Bulgarien gefahren. Unser kleines Lager verschwand in Rucksäcken, Taschen und Packsäcken, alles wurde in einem kanutenfreundlichen Bus verstaut, und los ging die Fahrt nach Karlukowo / Кapлyкoвo am Fluss Iskar. Dem Bus fehlte die rechte Sitzreihe. Hier war also ausreichend Platz das umfangreiche Gepäck von über dreißig Personen.

Unser Weg führte über die Magistrale Nummer 3 in Richtung Norden. Leider mussten wir von unseren ursprünglichen Vorstellungen, den Iskar von Sofia zu befahren, Abstand nehmen. Der Iskardurchbruch durch das Stara Planina zählt zu den schönsten europäischen Flusstälern. Vom Zug aus hatten wir die bizarren Felsen im windungsreichen Teil bereits bewundert. Aber der Fluss sollte nur von geübten Wildwasserfahrern im Polyesterboot bezwungen werden.

Wir setzten also erst weit nach dem 70 km langen Durchbruch ein und fügten uns den Empfehlungen unserer bulgarischen Freunde. Meiner Meinung nach hätte man entsprechend der Wasserführung noch etwa 30 ... 40 km weiter oben beginnen können.

Der Bootsaufbau mit den uns zur Verfügung gestellten Booten gestaltete sich etwas problematisch, na ja, wir entwickelten uns zu perfekten Bootsbauern und trugen die Sache mit Humor. Aber nach mehreren Stunden war auch das geschafft, und wir traten an zur Eröffnung der 4-Etappenfahrt auf dem Iskar - Touristenvereinigung "Iwan Wassow" Sofia und Tiefbau Berlin. Bulgarische Begrüßungsreden übersetzte Shoro ins Englische und Sabine zurück ins Deutsche - es gab keine Verständigungsschwierigkeiten.

Endlich aufs Wasser, Wasser ist geschmeichelt, was uns da empfing, war eine schokoladenbraune Brühe. Aber DDR-Kanuten sind nicht verwöhnt, letztendlich war das auch kein Industriedreck, sondern der Löß und Lehm der fruchtbaren Ufer.

Der Fluss war breit und schnell, ein Mittelding zwischen Saale und Poprad. Hin und wieder bauten sich Geröllbänke auf, aber bekanntlich bilden sich dort ganz am Uferrand schmale Durchfahrten, meistens mit herrlichen Schwallstrecken verbunden. Nur Anne, die mit Wastko fuhr, durfte im Schwall nicht paddeln, also Paddel schön hochhalten. Aber es gab auch Wehre, ganz wüste, wilde Wehre. Zwischen in den Boden gerammten Pfählen waren riesige Bruchsteine geschüttet. Die Wehre konnten in der Regel leicht umtragen werden. Nur Moni, unser Spitzenboot, fuhr zielsicher meistens an die falsche Seite.

Fast ohne Schäden kamen wir über die erste Etappe von Karlukowo bis Tschomakowci / Чoмaкoвци. Nur unser Schlussboot mit Flick- und Werkzeug erwischte es, aber die konnten sich ja alleine helfen.

Am Abend zog unsere Jugend mit Joana los, um bei den Bauern des Ortes Eier zu kaufen. Diese erhielten sie auch für wenige Stotinki. Kaum waren sie am Zeltplatz angekommen, griffen sie zum Waschzeug ... ? Sie sollten duschen kommen. Man duschte nicht nur, sondern wurde bis spät in die Nacht bewirtet, so lange, bis keiner mehr essen noch trinken konnte. Ich erwähne diese Begebenheit nur deshalb, um zu zeigen, wie herzlich wir auch im Landesinneren aufgenommen wurden.

Der nächste Morgen begann mit einer großen Schlepperei. Wieder war ein Wehr zu umtragen. Die Landschaft wurde flacher, die Felsen waren gänzlich verschwunden.

Wir fuhren nur noch durch landwirtschaftliches Gebiet. Shoro aber musste hier viele Bauern kennen, sein Boot war jeden Abend schwer beladen mit Kürbis und Melonen. Vor uns wieder ein Wehr. Die Wehrkrone war trocken. Wir freuten uns schon, dass wir bloß über die Wehrkrone zu heben brauchten, da wedelte Moni mit den Armen, lachte verschmitzt und rief: "Njama woda!" Tatsächlich, kein Wasser, d. h. sehr wenig Wasser. Wir trugen die Boote übers Wehr und setzten sie in das verbliebene kleine Rinnsal.

Für die folgenden 3 km brauchten wir über eine Stunde. Trotzdem war es ganz lustig. Zum Glück war noch soviel Wasser geblieben, dass man die Boote immer treideln konnte. Manchmal paddelten wir sogar kurze Strecken, aber sehr schnell hieß es wieder aussteigen und das Boot über eine Geröllstrecke ziehen. Doch endlich mündete von links wieder der Mühlgraben, und zügig gings dem Ziel entgegen.

In der Nähe des Ortes Pelowo / Пeлoвo zelteten wir wild. Der Ort war etwa 2 km entfernt. Mit unserem Bus fuhren wir einkaufen und Abendbrot essen. Am Abend wurde Holz gesammelt für ein gemütliches Lagerfeuer. Höhepunkt des Lagerfeuers bildete ein Feuertanz. Shoro und Moni bereiteten mit einer großen Zeremonie den Feuerglutteppich vor, und mit viel Brimborium liefen sie mit bloßen Füßen unter dem Beifall der Drumherumsitzenden durch die Glut. Andrea, Horst und Jens mussten es natürlich auch probieren und überstanden es ohne Brandblasen an den Füßen. Wir dürfen versichern, sie tanzten ohne Tricks und doppelten Boden durchs Feuer.

Die nächste Etappe führte uns bis Orjachowiza / Opeхoвицa. Der Fluss, immer noch kaffeebraun, wurde langsamer. Wie lang die Etappen waren, konnten wir nur schätzen. Von unseren bulgarischen Freunden erhielten wir nur Zeitangaben. Eine Stunde, zwei Stunden, die aber stark südlich geprägt waren, sie stimmten nämlich nie. Wir fuhren nur durch landwirtschaftlich genutztes Gebiet, wobei an den Ufern größtenteils Bäume standen, so dass die Strecke nie langweilig war. Endlich gab es auch zwei leicht zu befahrene Wehre.

Dem aufmerksamen Leser wird nicht entgangen sein, dass ich mich bis jetzt kaum zum Wetter äußerte. Leider wurden unsere Erwartungen in dieser Beziehung nicht erfüllt. In den Zeitungen fand ich später die Bemerkung, es sei das schlechteste Augustwetter seit 1929. Doch trotz verhangenen Himmels oder Regen, die Herzlichkeit unserer Gastgeber ließ über allem die Sonne scheinen.

Einen Trost hatten wir allerdings, es gab keinen Sonnenstich, keine verdorbenen Lebensmittel oder gar Sonnenbrände.

Aber heute Nachmittag schien endlich mal die Sonne mit aller Kraft, am Zeltplatz gab es einen herrlichen Dorfbrunnen, Gelegenheit zur großen Wäsche von Kopf bis Fuß und für einen Kessel Buntes. Die letzte und vierte Etappe auf dem Iskar führte bis zur Mündung in die Donau und weiter bis Zagrashden / Зaгpaждeн. Insgesamt hatten wir etwa 150 km zurückgelegt. Ausgerechnet in diesem Schlamm hatte ein Storch sein Futter gesucht und konnte sich aus dem Morast nicht mehr selbst befreien.

Heinz zog den total entkräfteten Storch vorsichtig aus dem Schlamm, setzte ihn in sein Boot, reinigte ihn später mit sauberem Donauwasser und setzte ihn wieder auf einer Wiese aus. Nach einigen Stunden hatte er sich erholt und setzte seinen Flug in Richtung Süden fort. Vorsorglich hielten wir unsere Frauen von dem Storch etwas entfernt, man kann ja nie wissen ...

Am Donaukilometer 635 mündet der Iskar in die Donau, noch 10 km und wir waren am Ziel. Wir zelteten auf dem Gelände einer Touristenstation. Am Abend luden uns unsere bulgarischen Freunde zu einer großen Feier ein. Gefeiert werden sollte der Abschluss der ersten Etappe unserer gemeinsamen Fahrt. Beginn 19.00 Uhr, Ende ... ? Wieder gab es auf beiden Seiten offizielle Reden, viele Geschenke und, wie sollte es anders sein, viele "Na zdrawe".

Natürlich war es ein echt bulgarisches Fest, den ganzen Abend wurde gegessen und getrunken, nichts wurde weggeräumt, aber das kannten wir bereits und hatten uns schon daran gewöhnt. Zu später Stunde reichte Sheni ihren selbst gemixten Melonentrunk, da blieben nur noch die ganz Trinkfesten ...



II.


Das gebirgige Bulgarien durchziehen viele Bäche, Flüsse und Seen, die aber während der "Touristenzeit" in der Regel zum einen wegen der geringen sommerlichen Niederschläge und zum anderen wegen der umfangreichen Bewässerung der Felder unbefahrbar sind. Wer also vom dicken blauen Strich der Landkarte auf eine Befahrbarkeit schließt, wird an Ort und Stelle von einem steinigen Rinnsal enttäuscht werden. So bleiben bulgarischen Kanuten nur einige Stauseen, wie Pantscharevo bei Sofia oder die Stauseen an der Arda und natürlich die Donau. Und wenn im August die Tour International Danubien bulgarisches Territorium erreicht, wächst die bulgarische Mannschaft auf über 100 Teilnehmer an.

So war es also logisch, dass wir ebenfalls an der TID teilnahmen, als Gäste unserer bulgarischen Sportfreunde. Damit begann die zweite Etappe unseres Bulgarienaufenthaltes (Siehe KANUSPORT 4/80).

Über 200 km fahren wir mit dem Bus von Zagrashden nach Vidin / Видин bei strömendem Regen, aber immer in der Hoffnung, dass sich das Wetter während der letzten 10 Tage noch bessern möge. Am späten Nachmittag erreichen wir Vidin. Der Zeltplatz liegt etwa 6 km donauaufwärts, außerhalb der Stadt, am Donaukilometer 796. Für mit dem Zug anreisende Kanuten dürfte es etwas problematisch sein, diesen Zeltplatz zu finden und zu erreichen.

Am späten Abend landet das Gepäckboot der bulgarischen Trasse, eine Fähre, mit den ausländischen Teilnehmern an Bord. Sie kommen alle von einem Empfang beim Bürgermeister in Vidin. Inzwischen wurden lange Tafeln gedeckt, und alle ausländischen Teilnehmer werden zu einem großen Empfangsessen des Bürgermeisters geladen. Neben dem Bürgermeister sind anwesend der 1. Sekretär der Bezirksparteileitung, der Präsident des bulgarischen Touristenverbandes und weitere Persönlichkeiten. Ganz besonders werden die Gäste aus der Deutschen Demokratischen Republik begrüßt, denn erstmals nimmt eine so große Mannschaft aus dem befreundeten sozialistischen Land teil.

Dicker Nebel liegt über der Donau und dem Land. Der Ruhetag in Vidin wird genutzt zu einem Busausflug ins Landesinnere. Erstes Ziel ist die Magura-Höhle. In Urzeiten spülten unterirdische Wasser riesige Grotten in den Karst. Stalagmiten und Stalaktiten bilden phantasievolle Tropfsteingebilde. Über 3 km zieht sich die Höhle unter der Erde hin.

Tief drinnen im Berg, an der wärmsten Stelle der Höhle - Zeichen der Vergangenheit. Künstler der Bronzezeit malten mit Fledermauskot Zeichnungen an die Wände, die leicht reliefartig herausgehoben sind. Mit viel Phantasie erkennen wir menschliche Figuren mit üppigen weiblichen Formen und einige dürre Männlein. Die Forschung will daraus schließen. Dass die in der Höhle lebenden Bronzezeitmenschen im Matriarchat lebten. Daneben erblicken wir Jäger und Tiere, auch Tiere, z. B. einen Strauß, die heute nicht mehr in diesen Breiten leben.

Ergriffen stehen wir vor diesem Zeugnis der Vergangenheit. Wie mögen die Menschen gelebt haben? Was veranlasste den Künstler zu diesen Felszeichnungen? Wenige Schritte weiter - Einschüsse in den Wänden. Auch dem Menschen der Neuzeit bot die Höhle Schutz. Während der Zeit des Faschismus verbargen sich hier Partisanen und übten sich im Schießen.

Plötzlich Kurzschluss in der Lichtanlage, und wie die Urmenschen tasten wir uns mit "Streichholzfackeln" die letzten dreihundert Meter zum Ausgang.

Nächstes Ziel ist die Stadt Belogradtschik / Бeлогpaдчик. Sehenswert ist weniger die Stadt als die sie umgebenden phantastischen Felsgebilde. Wir kennen das Elbsandsteingebirge, den Pieninydurchbruch, das Iskardefilee, aber die Belogradtschiker Felsen übertreffen alles bisher Gesehene. Einst eine riesige Sedimentplatte, schufen Wasser und Wind, Hitze und Kälte riesige, mit phantasievollen Namen belehnte Felsgebilde wie Adam und Eva, Nonne und Mönch, Heiducke, Hund und Bär. Gegenüber der Stadt bauten die Bulgaren in die natürliche Felsenbastion eine Burg und Festungswälle. Später stürmten die türkischen Horden Stadt und Festung Kula / Кyлa und nutzten sie gleichermaßen als Bollwerk gegen feindliche Angriffe vom Norden. Die Schönheit der purpurnen Konglomerate lässt sich schwer beschreiben, man muss sie gesehen haben.

Schon des Öfteren waren wir mit der Geschichte Bulgariens in Berührung gekommen. Nun wieder im Bus sitzend, bitten wir unseren ausgezeichnet Deutsch sprechenden Reiseleiter Lilko um einen kurzen Abriss der wechselvollen bulgarischen Geschichte, die bis weit in die Zeit der Römer zurückreicht (so stammte z. B. Spartakus aus Thrakien), die aber in erster Linie gekennzeichnet ist durch den Befreiungskampf gegen die Türken.

Am nächsten Morgen trommelt unablässig der Regen auf unsere Zelte. Wieder dicker Nebel über der Donau, der sich aber bis zum Start so weit verzieht, dass ausreichend Sichtweite besteht. Unser Gepäck wird auf dem Gepäckboot verstaut. Hier können auch erkrankte Fahrtteilnehmer einzelne Etappen mitfahren. Vorsichtig hieven wir unsere Boote über das schlammige und glitschige Steilufer. Im sauberen Donauwasser wird der Lehm von den Füßen gespült, und schon treiben wir auf der Donau.

Bald nähern wir uns der Stadt Vidin. Eben legt die mit einigen Eisenbahnwaggons, LKW und PKW schwer beladene Fähre in Vidin ab, um 20 Minuten später im rumänischen Calafat festzumachen. Vidin ist eine der ältesten bulgarischen Städte. Die Entwicklung führte vom römischen Bononja zur mittelalterlichen Festung "Baba wida", an der wir eben steuerbord vorüberziehen. Heute ist Vidin ein Industriezentrum mit einem großen landwirtschaftlichen Hinterland.

Die Breite der Donau schwankt zwischen 700 m und 2200 m. Im Strom befinden sich etwa 90 große und kleine Inseln, die teils zu Rumänien und teils zu Bulgarien gehören. Deshalb werden jeden Abend die Mannschaftsleiter mit dem Grenzverlauf bekannt gemacht. Der unmittelbare Uferstreifen der Donau ist meist sehr schlammig und lehmig, dagegen sind die Inseln sandig und laden ein zum Anlegen und zum Baden. Abhängig von der Flussbreite ist die Fließgeschwindigkeit des Wassers, die zwischen 2 und 6 km/h schwankt. Demzufolge legen auch wir zwischen 7 und 10 km/h zurück.

Flussauf und flussab befinden sich kleinere und größere Gruppen von Faltbooten, vor uns die tschechoslowakischen Sportfreunde mit ihren Canadiern. Insgesamt paddeln etwa 400 Sportfreunde die Donau abwärts.

Unser heutiges Ziel ist das 52 km weiter liegende Lom / Лом. Zu unserer Rechten fahren wir am Dorf Artschar / Apтшap vorbei, in seiner Nähe liegen die Ruinen der römischen Festung Rataria.

Über Mittag haben sich Wolken und Nebel endgültig verzogen, und über uns strahlt mit voller Kraft die bulgarische Sonne. Schon zeigen sich die ersten schmerzhaften Rötungen an den kanutentypischen Körperstellen. Als Sonnenöle und Cremes nicht helfen wollen, gibt uns Wastko den guten Rat, den Sonnenbrand mit Kiselo Mljako zu behandeln. Die gesäuerte, vergorene Milch, geimpft mit dem Streptokokkus "Bacillus bulgaricus", - jeder Bulgare schwört auf dieses angenehm duftende, vorzüglich schmeckende Lebenselixier - heilte über Nacht den Brand, und die Rötungen wichen dem so ersehnten Braun.

Am Zeltplatz, eine riesige Wiese unter schattenspenden Bäumen, plätschert aus einem Brunnen eiskaltes Gebirgswasser, und während die Männer am ambulanten Verkaufsstand die Vorräte ergänzen, stehen unsere Frauen waschend und plaudernd am Brunnen.

Am späten Abend bittet Ralli, der Dolmetscher der Fahrtenleitung, die Mannschaftsleiter im Namen der Honoratioren der Stadt zum Empfang. In seiner Begrüßungsrede verweist der Bürgermeister der Stadt auf die Geschichte von Lom. Auch Lom entstand an der Stelle einer römischen Festung. Heute ist Lom Zentrum eines landwirtschaftlichen Gebietes und besitzt den zweitgrößten bulgarischen Donauhafen.

Nach den Begrüßungs- und den sich jeweils anschließenden Dankesreden gibt es viele bulgarische Spezialitäten aus Küche und Keller. Der Wein lockert die Zunge, bis man die Hemmungen überwindet und des Dolmetschers nicht mehr bedarf; die höflichen Gastgeber schütteln verstehend die Köpfe über das russisch-bulgarisch-deutsche Wortgemisch, welches durch heftiges Gestikulieren unterstützt wird. Immer wieder bringen sie ihre Freude über die zahlreichen DDR-Gäste zum Ausdruck und sprechen die Erwartung aus, dass noch recht viele Kanuten aus der DDR an der bulgarischen TID teilnehmen werden. Diesen Wunsch der Bürgermeister und Parteisekretäre von Vidin bis Russe möchten wir hiermit an alle interessierten Kanuten weitergeben.

Das Gepäckboot soll laut südlicher Zeit immer um 8.00 Uhr ablegen. So heißt es bereits, um sechs Uhr aufzustehen. Aber Ende August ist es um diese Zeit noch fast dunkel, und so verzögert sich unsere Abfahrt und die des Donaumotorgepäckschiffkapitäns.

Die Etappen sind in der Regel zwischen 40 und 50 km lang, so dass wir versuchen, bis zur Mittagsrast zwei Drittel der Strecke zu schaffen. Nachmittags lassen wir uns treiben, schwimmen neben den Booten, versuchen die letzten Bauchfalten zu bräunen und schlachten eine Melone nach der anderen. Wozu Brause oder Tee, jeder hat zwei bis drei Melonen an Bord, dazu ein großes Messer, und schon werden die saftigen Scheiben reihum gereicht.

Nach 38 km gehen wir in Kosloduj / Кoзлoдyй an Land, genau an der Stelle, wo 1876 Christo Botew mit 200 Getreuen, nachdem sie den österreichischen Dampfer "Radetzky" gekapert hatten, den aufständischen Bulgaren zu Hilfe geeilt war. Botew zu Ehren errichtete das befreite Bulgarien ein Denkmal, dahinter, weithin sichtbar, sind am aufsteigenden Hang durch angepflanzte Bäume die Anfangsbuchstaben CH. B. (natürlich kyrillisch) des großen Dichters und bulgarischen Volkshelden zu lesen. Der bulgarische Dichter Iwan Wassow hat Botews Kampf gegen die Türken in einer Ballade gestaltet, die zum Volkslied geworden ist.

Am Abend versammeln sich die Teilnehmer der TID zu einer Gedenkfeier am Ehrenmal und beugen das Knie zu stillem Gedenken. Durch eine einheitliche Sportkleidung und durch ein diszipliniertes Auftreten bemühen wir uns, dem feierlichen Rahmen zu entsprechen.

Der Bürgermeister von Kosloduj spendiert allen Kanuten ein warmes Essen, Melonen und Tomaten. Kosloduj hat nicht nur Geschichte, sondern ist auch ein junges, sehr bedeutendes Zentrum der Energieerzeugung. Ein paar Kilometer donauabwärts entstand das erste Atomkraftwerk des Agrar-Industriestaates Bulgarien.

Am Morgen werden wir von der Sonne geweckt, und wieder trägt uns die Donau abwärts, diesmal zum 43 km entfernten Ostrow / Oстpoв. Das rumänische Ufer ist flach und eben, aber bewaldet, wir aber halten uns in respektvoller Entfernung, denn der Grenzverlauf befindet sich entlang des Stromstrichs, also der Linie der größten Fließgeschwindigkeit. Das bulgarische Ufer dagegen ist hügelig, teils felsig und bewaldet. Auch befinden sich hier eine ganze Reihe von Dörfern und Städten.

Man soll den Morgen nicht vor dem Abend loben. Inzwischen verdunkelt sich der Himmel, und plötzlich ergießt sich über uns ein halbstündiger Wolkenbruch, dem kein Anorak und keine Spritzdecke (sofern vorhanden) gewachsen sind. In diesem Inferno der Naturgewalten reißt natürlich noch eine Steuerleine, und irgendwo heult die Sirene einer "Raketa".

Im Garten des Passagierhafens Ostrow schlagen wir unsere Zelte auf. Ostrow ist ein großes Dorf, seine Einwohner betreiben Getreide-, Gemüse- und Weinanbau. Viel Spaß bereitet immer der Einkauf: Fingerzeig, hochhalten einiger Finger (aha, 6 Eier!), Verkäuferin greift nach dem Vermeintlichen und richtet einen fragenden Blick auf den eifrig Gestikulierenden, heftiges Nicken desselben, und schon wird das Gewünschte wieder zur Seite gelegt. Wieder einmal sind wir dem umgedrehten bulgarischen "Ja-Nein-Spiel" zum Opfer gefallen.

Am Wege zur Kaufhalle befindet sich eine Aufkaufstelle für selbstgeknüpfte Teppiche. Interessiert drängen wir uns in das Lager. Freundlich zeigt uns der Aufkäufer seine Prachtstücke: farbenprächtige Schafwollteppiche mit kurzem und langem Flor, leider reicht unser Taschengeld nur zum Ansehen.

Als wir am anderen Morgen endlich die nassen Zelte verstaut haben, bricht die Sonne durch und begleitet uns auf den 36 km bis Zagrashden am Donaukilometer 625. Rechtsseitig wieder hügeliges Ufer, teilweise reichen die Felsen bis ans Wasser. In Zagrashden ist ein Ruhetag vorgesehen. Und wieder erwartet uns eine Attraktion. Busse bringen uns zur römischen Ausgrabungsstätte "Ulpius eskus". Zur Zeit der alten Latiner bildete die Donau die nördliche Grenze des großen Römischen Reiches. Entlang dieser Grenze befanden sich zum Schutz gegen germanische Angreifer Grenzwälle (man denke an den "Limes") und Kastelle. Hier beim Dorf Gigen / Гигeн fand man unter tausendjähriger Erde die guterhaltenen Grundmauern der Festung "Ulpius eskus". Ein namhafter Archäologieprofessor, Mitglied vieler Akademien, führt uns durch die Ausgrabungsstätte. Staunend steht Wolfgang Ill, ein echter Tiefbauer aus Berlin-Marzahn, vor den Kollektoren (unterirdischer Be- und Entsorgungskanal) der Vergangenheit. Geschichte, die wir nur aus Lehrbüchern kennen, wird vor unseren Augen lebendig. Dorische und korinthische Säulen, Kapitelle, Meisterwerke der Steinmetzkunst an Friesen und Gesimsen, Grundmauern monumentaler Bauten, Straßen mit ihrer Entwässerung hat man hier in jahrelanger Buddelarbeit mit Schaufel und Spaten zu Tage gefördert. Wir werden Zeuge eines archäologischen Ereignisses. Wieder wurde eine Plastik gefunden; mit Wasser und Bürste wird sie gesäubert. Noch vor ihrer Katalogisierung dürfen wir filmen und fotografieren, Noch hat man erst ein Viertel der alten Bastion ausgegraben, und die Erde birgt noch viele Geheimnisse.

Nach diesem Ausflug in die Vergangenheit - ein großer Sprung in die neue Zeit, in unsere Zeit. Wir sind Gäste der LPG in Gigen. In kurzen, einfachen Worten berichtet der Parteisekretär der LPG aus der Geschichte der Genossenschaft, vom schweren Anfang nach der faschistischen Herrschaft und vom heutigen Produktionsprofil. Stolz führen uns die Genossenschaftsbauern auf ein riesiges Melonenfeld, nicht nur zum Ansehen, nein, zum Ernten! Fachmännisch klopfen wir an die Melonen (allerdings ohne zu wissen, wie's klingen muss). Man hat auch gleich große Messer zur Hand, und wir müssen essen und loben. Am Feldrand stehen derweil Stiegen mit Tomaten, Paprika und Weintrauben. Zum Glück haben wir große Taschen und Beutel mitgebracht, um alles wegtragen zu können. Bewegt bedanken wir uns beim Vorsitzenden und wünschen ihm weitere Erfolge beim sozialistischen Aufbau seiner LPG. Auf dem Zeltplatz angekommen, verwandeln sich die Geschenke unter den Händen der Campingköche in herrlichen Schopska-Salat, in Tomaten-Paprika-Gemüse, gewürzt mit Peperonischoten, und zum Nachtisch gibt's Weintrauben.

Nun hält sich das schöne Wetter schon den dritten Tag. Wir paddeln 47 km nach Belene / Бeлeнe. Zur Mittagszeit lädt eine Fischgaststätte zur Rast. Frischer Donaufisch, köstlich gebraten, muss natürlich schwimmen. So sprechen wir eifrig dem Rotwein zu und verlassen uns anschließend auf die Donauströmung. Faul und träge liegen wir in unseren Booten, lassen die Landschaft an uns vorüberziehen, winken den Schleppzügen und einem sowjetischen Passagierdampfer zu. Nur vor den "Raketas" ergreifen wir die Flucht und suchen Schutz am Rande des breiten Stroms.

In Belene überrascht man uns wie schon so oft mit einem warmen Essen und einer ganzen LKW-Ladung Melonen.

Als die DDR-Mannschaft im Zelt des Fahrtenleiters mit einer Rotweinrunde, Weißbrot und Schafskäse den Tag ausklingen lässt, entlädt sich über uns ein wolkenbruchartiges Unwetter, dass wir fast um unsere Zelte fürchten müssen.

Eigentlich sollte im August vorherrschend Westwind sein. Heute ist endlich so ein Tag. Plastetüten und Ze1tplanen werden zwischen zwei Paddel gespannt, und kräftesparend segeln wir in Richtung Swischtow / Свищoв. Leider ist diese Segeletappe nur 29 km lang.

Plötzlich heißt es anlegen. Überall große Fragezeichen. Keiner weiß, was los ist, bis sich endlich herausstellt, dass am heutigen Zeltplatz das Gepäckboot wegen des flachen Ufers nicht anlegen kann. Große Ratlosigkeit bei der Fahrtenleitung, schließlich holen wir unsere Rucksäcke vom Gepäckboot und fahren die letzten Kilometer unter Last. Diese organisatorische "Glanzleistung" macht der Bürgermeister von Swischtow am Abend mit einem Empfang für die Mannschaftsleiter wieder vergessen.

Swischtow hat eine alte Geschichte. Es wurde Anfang des 8. Jahrhunderts durch die Slawen und Urbulgaren gegründet. Die Stadt ist malerisch, in amphitheatralischer Lage auf den Uferterrassen gelegen. In der Nähe der Stadt befinden sich die Ruinen der römischen Festung Novae. Bei Swischtow hat die Donau ihren südlichsten Punkt erreicht. Das rechte Ufer geht oft in senkrechte, hellleuchtende Felswände über, die der Bulgarischen Kreidetafel angehören und von der Donau unterwaschen werden.

Für die für uns letzte Etappe bis Russe müssen wir erstmalig alles im Boot verstauen. Wir hatten's schon fast verlernt. Natürlich entlädt sich am Morgen beim Einpacken wieder ein Gewitter. Aber glücklicherweise ist es dabei nie kalt. So schnell, wie das Gewitter gekommen ist, verzieht es sich auch. Auf den 55 km bis Russe / Руce scheint die südliche Sonne noch einmal mit voller Kraft. Die kaffeebraunen Nebenflüsse der Donau hatten auch langsam den großen Strom etwas verfärbt. Aber heute ist sowieso keine Zeit zum Baden und Bummeln. Vor Russe zeigt sie die Landschaft nochmals von ihrer besten Seite. Steil ragen die Felsen aus dem Wasser auf. In tausenden .Jahren hatte sie das Wasser unterspült, und wir können fast unter überhängenden Felsen fahren.

In Russe erwartet uns eine besondere Überraschung - keine Zelte, sondern Bungalows im Gelände einer Jugendherberge. Allerdings muss alles einen steilen Berg hochgeschleppt werden. Der Nachmittag ist nun voll ausgefüllt mit Arbeit. Boote abbauen, säubern, das vom Morgen nasse Zelt trocknen, alles für die Heimreise umpacken, halt die übliche Urlaubsabschlusshektik.

Und schon drängt der Chef der bulgarischen TID zum Bürgermeisterempfang im Rathaus von Russe. Also schnell noch unter die Dusche, den "kleinen Ausgehanzug" über den schon wieder schweißnassen Körper gezogen, letzte Instruktionen an die Ehefrau wegen des abendlichen Treffs geben, und schon geht's mit dem PKW zum Oberhaupt der Stadt. In der letzten Rede vor den bulgarischen Gastgebern, den Repräsentanten der Etappenorte und den bulgarischen Organisatoren bedanken wir uns nochmals für die erwiesene Gastfreundschaft und versprechen wiederzukommen.

Im Restaurant "Potsdam" an Busses Fußgängerboulevard haben unsere Sportfreunde von "Iwan Wassow" Sofia ein großes Abschiedsessen organisiert. Jeder kramt die letzten Erinnerungsgeschenke aus dem Gepäck, viele Reden werden gehalten. Fast vier Wochen hatten wir mit Rucksack und Faltboot Bulgarien durchstreift.

Dieser Urlaub wird den Teilnehmern dieser Fahrt noch lange in Erinnerung bleiben, und alle freuen sich schon, wenn es erneut zu einem Austausch einer Sportlerdelegation zwischen unseren Gemeinschaften kommt.

Der Schluss der Fahrt ist schnell berichtet. Einen Tag widmen wir noch der viertgrößten bulgarischen Stadt. Das alte Sexaginta Prista (Stadt der 60 Schiffe) war Standort der römischen Donauflotte. Die Türken erbauten an gleicher Stelle die Stadt Rustschuk. 1866 wurde von Russe nach Warna die erste Eisenbahn im osmanischen Reich errichtet. Heute ist Russe eine moderne europäische Stadt. Über die "Brücke der Freundschaft", eine doppelstöckige Straßen- und Eisenbahnbrücke, besteht die einzige feste Verbindung nach Rumänien.

Wegen der beginnenden Schulzeit beenden wir die Fahrt in Russe und können hier bequem den Trakia-Express in Richtung Heimat erreichen.


Quelle

Dieser Artikel stammt von Wolfgang Tuch, Berlin, und erschien in zwei Teilen in der Zeitschrift "Der Kanusport. Mitteilungsblatt des Deutschen Kanu-Sport-Verbandes der Deutschen Demokratischen Republik", 27. Jahrgang, Teil 1 in Heft 4/1980, S. 5-7, Teil 2 in Heft 10/1980, S. 3-6.

Der Text wurde aus der Zeitschrift übertragen, lediglich die kyrillische Schreibweise der Ortsnamen wurde hinzugefügt, da es verschiedene lateinische Umschriftvarianten der kyrillischen Ortsnamen gibt. Die Nummer der Magistrale 4 nach Karlukowo am Iskar wurde auf die heute gültige Nummer 3 verändert, die Festung bei Belogradtschik von "Kulata" auf das korrekte "Kula" geändert. Auf der Donau rieben sich die sonnenverbrannten Paddler übrigens mit "Kiselo Mljako" ein, wofür man im Deutschen ordinären "Joghurt" nehmen würde :-)

Eine weitere Aktualisierung der Fakten auf heutigen Stand (neue Zeltplätze, Abriss des Dimitroff-Mausoleums in Sofia, Änderung der Vereinsstruktur Bulgariens) wurde nicht durchgeführt. Neue Fahrtberichte der letzten Jahre werden gerne entgegengenommen!

Vielen Dank an Wolfgang Tuch für seine Genehmigung zur Veröffentlichung im Faltbootwiki.


Pegel


pChart


Die mittlere jährliche Durchflußmenge am Pegel Novi Iskar beträgt 17,572 m³/s. Der geringste monatliche Durchfluß wurde in einem Septembermonat mit 1,121 m³/s registriert, der höchste in einem Märzmonat mit 75,042 m³/s.

Quelle: old.bluelink.net



pChart


Die mittlere jährliche Durchflußmenge am Pegel Kunino beträgt 46,55 m³/s. Der geringste monatliche Durchfluß wurde in einem Septembermonat mit 5.12 m³/s registriert, der höchste in einem Maimonat mit 156,15 m³/s.

Quelle: old.bluelink.net



pChart


Die mittlere jährliche Durchflußmenge an seiner Mündung Novi Iskar beträgt 54,02 m³/s. Der geringste monatliche Durchfluß wurde in einem Septembermonat mit 5,98 m³/s registriert, der höchste in einem Augustmonat mit 209,9 m³/s.

Quelle: old.bluelink.net



Karten

Die folgenden sowjetischen topographischen Karten 1:100.000 zeigen den Lauf des Iskar:

  • k-34-072 (Quellflüsse des Iskar im nordöstlichen Rilagebirge oberhalb Samokov)
  • k-34-060 (Oberlauf unterhalb Samokov und Iskar-Stausee)
  • k-34-059 (Iskar vom Iskar-Stausee bis ins südliche Sofia)
  • k-34-059 (Sofia und Südteil des Iskar-Durchbruches)
  • k-34-035 (Nordteil des Iskar-Durchbruches)
  • k-34-036 (Unterlauf von Sverino bis Kunino)
  • k-35-025 (Unterlauf oberhalb Tscherven Brjag)
  • k-35-013 (Unterlauf von Kojnare bis Kruschovenje)


Siehe auch folgende Artikel:


Literatur

  • DKV-Auslandsführer Band 5: "Südosteuropa". DKV-Wirtschafts- und Verlags-GmbH Duisburg, 4. Auflage 2012, ISBN 978-3-937743-26-4, S. 121-123 (Iskar) und S. 107-119 (eingehende Beschreibung des bulgarischen Donauufers.)
  • DKV-Auslandsführer Band 9: "Donau und Nebenflüsse", 2. Auflage 2018, ISBN 978-3-937743-54-7, Autor: Otto Kaufhold. (Donau von der Quelle bis zur Mündung, einschl. des Iskar.)




Bild-Rot-C.png Dieser Artikel unterliegt dem ausschließlichen Urheberrecht des angegebenen Autors.

Wenn es Interesse an seiner Nutzung gibt, wenden Sie sich bitte an den Autor.
Bei Kontaktschwierigkeiten und Fragen kann man sich an den SysOp GeorgS wenden.

Wir bedanken uns beim Autor für die Nutzungsgenehmigung.